Reid 2 Die ungehorsame Braut
so schnell war es auch wieder verschwunden.
Sadie starrte Ophelia ungläubig an, ohne jedoch zu erröten.
»Frag nicht«, zischte Ophelia. Als ob sie damit durchkäme.
»Seit wann nimmt er sich diese Freiheiten heraus?«, kam postwendend die Frage aus Sadies Mund.
Ophelia versuchte, sich mit einem legeren Achselzucken herauszuwinden. »Nicht der Rede wert. Wir hatten eine Reihe von hitzigen Diskussionen, im Zuge derer ich ihn mehrfach heftig beleidigt habe. Schätzungsweise war das seine Art, mich wissen zu lassen, dass er mir nicht mehr gram ist.«
Sadie schnaubte ungläubig. »Warum sagt er es nicht einfach?«
Weil das nur halb so aufregend wäre, dachte Ophelia bei sich und feixte innerlich.
Kapitel achtundzwanzig
E nttäuscht stellte Ophelia fest, dass es in London nicht geschneit, sondern lediglich geregnet hatte. Sie war mit sich selbst übereingekommen, die Nacht in einem Wirtshaus am Stadtrand zu verbringen, um am folgenden Tag zur Mittagszeit bei ihren Eltern einzutreffen. Um die Uhrzeit weilte ihr Vater für gewöhnlich außerhalb des Hauses, traf sich mit Freunden im Club. Ophelia wollte die Chance nutzen, sich in Ruhe in ihrem Zimmer einzurichten, ehe sie gezwungen war, sich mit ihm und seinen Fragen auseinanderzusetzen.
Vermutlich war er noch immer wütend auf sie, weil sie Duncan nun doch nicht heiraten würde. Sie hoffte jedoch, dass ihr Abstecher zu den Lockes ihn wieder ein wenig milder gestimmt hatte.
Ophelia mochte ihr Elternhaus in der Berkley Street nördlich des Hyde Park. Die Straße war verhältnismäßig kurz. Am westlichen Ende schloss sich der Portman Square an, am anderen Ende gelangte man auf den etwas kleineren Manchester Square. Weder in der einen noch in der anderen Grünanlage hatte Ophelia als Mädchen je gespielt. Zum einen galt Spielen als etwas Kindisches, zum anderen war ihr nie erlaubt worden, sich wie ein Kind zu benehmen. So weit ihre Erinnerungen zurückreichten, war sie - zumindest von ihrem Vater, der das Sagen hatte - wie eine Erwachsene behandelt worden. Ihre Mutter hatte zwar stets versucht, ihr ein normales Leben zu ermöglichen, aber Sherman hatte sie immer wieder überstimmt.
Ophelia freute sich darauf, ihre Mutter wiederzusehen, und hatte keine Zweifel, dass sie bei ihrem Eintreffen daheim sein würde. Mary Reid verließ nur selten das Haus, so sehr war sie damit beschäftigt, ihre Feste vorzubereiten. Ihre Freundinnen kamen zu ihr und nicht umgekehrt. Ophelia war ein wenig traurig, dass ihre Mutter sie selbst nicht zu ihren ersten Bällen am Anfang der Saison begleitet hatte. Sherman hatte darauf bestanden, diese Aufgabe persönlich zu übernehmen. Mit stolzgeschwellter Brust hatte er sie vorgeführt. Allerdings galt sein Stolz nicht ihr, sondern sich selbst. Das Einzige, was sie ihm zugute halten musste, war die Tatsache, dass er weder Kosten noch Mühen gescheut hatte. Aber auch das hatte er weniger für sie getan als für sich, damit er sie wie ein Juwel herumzeigen konnte und von allen Seiten zu solch einer außergewöhnlichen Tochter beglückwünscht wurde.
Um ein Haar wäre Ophelia wieder ihrer altbekannten Verbitterung zum Opfer gefallen, hatte die Zeichen aber rechtzeitig erkannt und sich dem Sog entzogen. Sie hatte jetzt ein Ziel, und je früher sie es erreichte, desto besser. Sie würde einen reichen Mann heiraten, damit sie den Fängen ihres Vaters endlich entkam.
»Soll ich gleich auspacken, oder möchten Sie sich erst ein wenig ausruhen?«, erkundigte sich Sadie, als sie das prächtige Stadthaus betraten, in dem Ophelia aufgewachsen war.
»Fang ruhig schon mal an, ich bin nicht müde«, antwortete Ophelia.
Ihre Stimmen lockten Mary Reid aus dem Salon. »Da bist du ja, meine Kleine. Mein Gott, wie ich dich vermisst habe.«
Mary Reid war die Gutmütigkeit in Person, und Ophelia liebte sie, obwohl sie drall wie ein Fass war. Das einzige Mal, dass Ophelia ihre Mutter hatte schreien hören, war an jenem verhängnisvollen Tag gewesen, als Ophelia herausgefunden hatte, dass sie keine wahren Freunde besaß und dass das Interesse ihres Vaters an ihr sich darauf beschränkte, mit ihrer Hilfe die soziale Leiter weiter zu erklimmen.
Das blonde Haar und die blauen Augen hatte Ophelia von ihrer Mutter, die in ihrer Jugend bildhübsch gewesen war. Ophelia war froh, dass sie nicht die braunen Augen und das braune Haar von ihrem Vater geerbt hatte.
Sie nahm ihre Mutter in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich habe dich auch vermisst,
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