Reid 2 Die ungehorsame Braut
machten sie sich Hoffnungen auf Ophelias abgelegte Verehrer und wünschten sich, Ophelia fände lieber heute als morgen zu einer Entscheidung, mit wem sie den Bund der Ehe einging.
»Es ist vielmehr so, dass wir das Gefühl hatten, sie könnte nicht richtig informiert sein«, antwortete Edith.
Das war ein diplomatischer Versuch, ihr beizubringen, dass Mary sie womöglich angelogen hatte. »Mit anderen Worten, ich hätte sie mit falschen Informationen versorgt?«, entgegnete Ophelia.
»Ja«, räumte Edith ein, schob aber schnell hinterher: »Wir wissen ja, dass du und Locke euch nicht sonderlich mögt. Was wir gar nicht verstehen können, weil er wirklich attraktiv ist. Da wir gesehen haben, wie zwischen euch die Funken fliegen, konnten wir uns nicht vorstellen, dass du eine Einladung seiner Familie annehmen würdest. Also dachten wir, du hättest deinen Eltern einfach nur gesagt, sie hätten dich eingeladen.«
Aha, sie waren sich also sicher, dass sie ihre Mutter angelogen hatte. Rafe hatte also doch recht behalten. Sobald man auf dem Pfad der Unwahrheit wandelte, glaubte einem niemand mehr so leicht, und beide Mädchen wussten nur zu gut, dass sie einen Hang zum Lügen hatte.
Es war eigenartig, aber noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte sie keine Gelegenheit ausgelassen, den beiden brühwarm und voller Stolz zu erzählen, dass sie einige Zeit mit Rafe verbracht hatte. Jetzt hingegen zog sie es vor, ihnen nichts davon zu erzählen.
Zum Glück waren Edith und Jane nicht aufdringlich, weshalb Ophelia hoffte, sie käme damit durch, dass sie einfach nur sagte: »Als mir dämmerte, dass ich Duncan MacTavish nicht würde heiraten können, begann eine schwere Zeit für mich auf Summers Glade. Ich hatte Angst, dass er mich nicht ohne Weiteres meiner Wege ziehen lassen würde. Doch dann hatte ich ein klärendes Gespräch mit ihm, und wir kamen überein, dass es das Beste wäre, wenn wir nicht heiraten. Anschließend brauchte ich ein wenig Zeit, um mich zu erholen und meine Möglichkeiten zu überdenken. Davon abgesehen hatte ich es alles andere als eilig, nach Hause zurückzukommen, um meinem wutschäumenden Vater unter die Augen zu treten. Ihr wisst ja, wie gern er mich an Duncans Seite gesehen hätte.«
Natürlich lief sie Gefahr, dass die beiden sich in der Zwischenzeit mit Mavis ausgetauscht hatten und längst über alles im Bilde waren, aber die Ausrede, sie hätte ein wenig Zeit gebraucht, funktionierte dennoch. Wo sie sich aufgehalten hatte, war vollkommen irrelevant.
Entsprechend überrascht war sie, als Edith mit scharfer Stimme nachhakte: »Also warst du gar nicht bei den Lockes?«
Ehe sie über weitere Ausflüchte nachdenken konnte, meldete Jane sich zu Wort: »Da hätten wir die Antwort auf unsere Fragen.«
Ophelia folgte ihrem Blick und sah, wie Raphael Locke den Salon betrat. Sofort schnellte ihr Puls in die Höhe. Sie hatte keinen blassen Schimmer, warum er hier war, wusste nur, dass sie beglückt war, ihn zu sehen. Nie im Leben hätte sie damit gerechnet, ihn so zeitig wiederzusehen.
»Warum wolltest du uns denn nicht erzählen, dass du sein Herz erobert hast?«, fragte Edith aufgeregt.
»Vielleicht, weil ich mir selbst nicht im Klaren über meine Gefühle bin«, hörte Ophelia sich sagen, ehe sie innerlich aufstöhnte. Genau das hatte sie nicht an die große Glocke hängen wollen.
»Gütiger Gott, du hast dich verliebt, habe ich recht?«, keuchte Jane.
»Nein, habe ich nicht«, antwortete Ophelia wie aus der Pistole geschossen. Sogleich stellte sich das ungute Gefühl ein, dass ihr gerade die größte aller Lügen über die Lippen gekommen war.
Kapitel neunundzwanzig
S eit seiner Ankunft scharwenzelte Mary um Rafe herum. Die Tatsache, dass sie ihn eingeladen hatte, überraschte Ophelia nicht, wohl aber, dass er in London war. Schließlich hatte er bis zu Duncans und Sabrinas Hochzeit auf Summers Glade bleiben wollen. Die beiden hatten sich unmöglich so schnell das Ja-Wort geben können. Oder hatten sie bereits geheiratet, und Rafe hatte das festliche Ereignis verpasst?
Doch es sollte eine Weile dauern, bis Ophelias Neugierde gestillt wurde. Sie hatte nur wenige Minuten Zeit, mit ihren Freundinnen zu plaudern, ehe sie wieder von ihren Verehrern umringt war.
Für ein Abendessen, bei dem sich alle an eine Tafel setzten, waren es zu viele Gäste, wie so oft, wenn die Reids einluden. Mary war erfahren, wenn es darum ging, ein Buffet zusammenzustellen, das sowohl dem Gourmet als auch dem
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