Reid 2 Die ungehorsame Braut
würdest, einen neuen Menschen aus mir gemacht zu haben, während du im Grunde nichts anderes getan hast, als mir die Augen zu öffnen, damit ich meine Makel in den Griff bekomme. Vergiss nicht, dass ich auch schon vorher gute Züge an mir hatte, die ich einfach nur unter Verschluss gehalten habe.«
»Das ist mir nicht entgangen.«
»Was?«
»Dass du auch liebenswerte Züge hast. Zum Beispiel hattest du im Handumdrehen meine Tante für dich eingenommen.«
»>Für mich eingenommen« Sie grinste. »Sie hat mir von Anfang an aus der Hand gefressen, und das weißt du auch.«
»Recht hast du. So, jetzt ist es aber an der Zeit, dass du dich wieder deinen Gästen widmest. Es ist in Ordnung, wenn du einige Minuten in meiner Gesellschaft verbringst, aber übertreib es nicht, sonst kursieren ab morgen entsetzliche Gerüchte über uns.«
»Ich weiß.« Ophelia erhob sich. »Vielen Dank, dass du vorbeigekommen bist, um nach mir zu sehen. Das war sehr liebenswürdig.«
Seine blauen Augen leuchteten. »Gütiger Gott, tu mir einen Gefallen und sag niemals über mich, ich wäre liebenswürdig. Damit zerstörst du meinen Ruf, den ich mir so hart erarbeitet habe.«
»Dir liegt also wirklich etwas daran, als unverbesserlicher Lebemann gehandelt zu werden?«
»Und wie!«
Ophelia war sich im Klaren darüber, dass er sich einen Scherz mit ihr erlaubte, weshalb sie mit belustigtem Unterton erwiderte: »Sei unbesorgt, dein Geheimnis ist bei mir in den besten Händen.«
Sie drehte sich um, um zu gehen. Doch Rafe packte sie am Ellbogen. Sie sog den Atem ein und schloss für die Dauer eines Herzschlags die Augen. Seine Berührung schickte eine Lawine aus Feuer durch ihren Körper, erinnerte sie auf schmerzhafte Weise daran, wie wunderbar es mit ihm gewesen war...
»Wie ist eigentlich die erste Begegnung mit deinem Vater verlaufen?«, riss Raphael sie aus ihren Gedanken. Ihre Stimmung wurde düster, als sie gewahr wurde, warum er sie zurückgehalten hatte.
Ophelia drehte sich nicht um, hatte Angst, ihn anzusehen. »Er weiß noch gar nicht, dass ich wieder da bin.«
»Warum wartest du nicht, wie euer erstes Aufeinandertreffen abläuft, ehe du dich zu einer voreiligen Entscheidung hinreißen lässt?«
»Ich? Voreilig?« Mit einem lauten Schnauben ließ sie ihn stehen. Sein Lachen hallte ihr jedoch in den Ohren, als sie den Raum verließ.
Kapitel dreißig
O phelia, die ziemlich aufgewühlt war, hätte keinen schlechteren Zeitpunkt wählen können, um vom Esszimmer wieder in den Salon zu gehen. Sie merkte gar nicht, dass ihr Vater gerade zur Eingangstür hereingekommen war, sich des Mantels entledigt hatte und diesen einem Bediensteten übergab.
Er hingegen hatte sie sofort entdeckt.
»Pheli? Seit wann bist du wieder hier?«
Nicht einmal der Anflug eines Lächelns. Keine ausgebreiteten Arme, um sie zu herzen. Nichts außer einem befremdlichen Ausdruck auf dem Gesicht.
Sherman Reid, der Earl of Durwich, war Mitte vierzig. Er hatte dichtes dunkles Haar und scharf geschnittene Gesichtszüge. Er war groß und schlank; wenn er neben seiner Gemahlin stand, konnte man ihn beinahe dürr nennen. Er war weder hässlich noch anziehend. Darin lag auch begründet, dass er selbst kaum glauben konnte, einer so bildhübschen Tochter das Leben geschenkt zu haben - und warum er so versessen darauf war, aus diesem unverhofften Umstand Kapital zu schlagen.
»Ich bin heute Nachmittag wiedergekommen. Wie du unschwer erkennen kannst, ist es Mutter gelungen, einige meiner Verehrer einzuladen.«
Er warf einen Blick in Richtung Salon, aus dem festlicher Lärm drang. »War das notwendig?«
Ophelia legte eine Pause ein. »Notwendig, nein. Aber wenn es Mama glücklich macht, hat es doch etwas Gutes.«
»Sprich nicht in diesem aufmüpfigen Ton mit mir, Mädchen.«
Um ein Haar hätte Ophelia laut losgelacht. Ihr Ton war genau genommen sogar milder als je zuvor. Allem Anschein nach erwartete er von ihr, dass sie sich schnippisch gab. Schließlich hatten sie, seit er sie mit Duncan verlobt hatte, nur noch gestritten.
»Ab mit dir in mein Arbeitszimmer. Ich möchte mit dir reden«, brummte er.
»Kann das nicht warten? Wir haben Gäste.«
»Nein, kann es nicht.«
Wortlos lief Sherman Reid an seiner Tochter vorbei und steuerte auf sein Arbeitszimmer zu.
Ophelia atmete tief durch und folgte ihm. Sie würde nicht zulassen, dass er ihren neu gewonnenen Seelenfrieden zerstörte. Irgendwie war es ihr gerade gelungen, ihr Temperament unter Kontrolle
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