Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
der eigentliche Grund für ihre Verstimmung.
Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen, sich in ihrem Zimmer zu verkriechen. Nachdem die allmorgendliche Übelkeit verflogen war, hatte sie das Gefühl, vor Hunger umzukommen, und beschloss dann doch, zum Frühstück nach unten zu gehen. Insgeheim hoffte sie jedoch, dass die anderen bereits fertig waren. Die Vorstellung, die glückliche Ehefrau spielen zu müssen, war ihr schlichtweg unerträglich.
Doch das Glück war Rebecca hold. Im Speisezimmer hielt sich niemand mehr auf. Damit ihre Laune nicht weiter absackte, versuchte sie, während des Essens an nichts zu denken. Als sie merkte, dass sie bereits nach dem fünften Frühstückswürstchen griff, obwohl sie längst mehr als satt war, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Sie hatte viel zu viel gegessen - mehr, als gut für sie war. Eine Erklärung für ihre Völlerei und ihren sich abzeichnenden Babybauch bestand vermutlich darin, dass sie ein abnorm großes Kind zur Welt bringen würde.
Keine besonders erbauliche Vorstellung, im Gegenteil. Jetzt ekelte Rebecca sich auch noch vor sich selbst.
Rupert hätte keinen schlechteren Zeitpunkt wählen können, als Rebecca beim Verlassen des Speisezimmers über den Weg zu laufen. Und dann besaß dieser Kerl doch auch noch die Unverfrorenheit, ihr seinen Arm um die Taille zu legen! Als ob sie nicht merkte, dass er ihren Umfang testen wollte!
»Man sollte es kaum für möglich halten«, murmelte er. »Kann es sein, dass du dich mit Küchlein vollstopfst, um die ganze Sache spannender zu machen? «
Rebecca, die kein Ohr für den humorvollen Unterton in Ruperts Stimme hatte, hörte lediglich heraus, dass er noch immer an ihrer Schwangerschaft zweifelte.
»Erraten«, fuhr sie ihn an, »ich werde einen dicken fetten Kuchen auf die Welt bringen! «
»Das ist nicht lustig, Rebecca. «
»Genauso wenig wie deine absurde Bemerkung. Glaubst du wirklich, ich habe Spaß daran, wie ein Hefekloß auseinanderzugehen? Nein, ich hasse es, aber anscheinend nicht so sehr wie du mich! «
Ehe Rebecca den oberen Treppenabsatz erreicht hatte, kullerten bereits die ersten Tränen - aber nicht, weil sie sich vor sich selbst ekelte. Mitzuerleben, wie der Körper sich während der Schwangerschaft veränderte, bereitete ihr keine Probleme, da sie das Kind unter ihrem Herzen bereits über alles liebte. Rupert konnte sie wütender machen, als sie es je in ihrem Leben gewesen war, aber er hatte sie nie so weit getrieben, dass sie ihn hasste.
Er folgte ihr und klopfte an ihre Tür. Vergebens. Sie reagierte nicht und war dankbar, dass er so viel Anstand besaß, nicht den Knauf zu betätigen, um zu sehen, ob die Tür unverschlossen war. Als sie merkte, dass er den Rückzug angetreten hatte, weinte sie sich in den Schlaf, erwachte aber kurze Zeit später bereits wieder - mit quälendem Hunger. Dabei war es gerade einmal Mittag! Dies entbehrte nicht einer gewissen Komik und war der Grund dafür, warum ihre Laune sich ein wenig besserte und sie sich der Herausforderung gewachsen sah, sich zu den anderen an den Mittagstisch zu setzen.
Rupert sah davon ab, während des Essens das Wort an Rebecca zu richten, was sie nach ihrem Gefühlsausbruch nicht weiter verwunderte. Dennoch merkte sie, wie sein Blick in regelmäßigen Abständen zu ihr herüberglitt und er die ganze Zeit über eine undurchdringliche Miene wahrte - außer wenn er seine Mutter aufzog. Rebecca war sich nicht sicher, meinte aber, seine Sorge zu spüren. Nein, vermutlich war er lediglich neugierig, warum sie auf seinen Scherz so heftig reagiert hatte. Es war ein schlechter Scherz gewesen, keine Frage, aber sie war immerhin sicher, dass er seine Worte nicht ernst gemeint hatte.
Kaum war das Essen beendet, empfahl sich Rupert. Entspannt wechselte Rebecca mit Julie in den Salon. Sie hatte ihre Schwiegermutter längst ins Herz geschlossen, was aber auch nicht weiter schwer war, da Julie sie auch mochte. Fast schien es so, als hätte Rebecca einen guten Einfluss auf sie. Mit jedem Tag fiel ein wenig mehr von ihrer schroffen Art ab. Es war fast, als entließe sie ihre weibliche Seite aus einem Verließ, in dem sie lange Jahre gefangen gehalten war. In dem Moment, da Rupert seine Mutter aufzog, war sie jedoch wieder ganz die Alte.
Wie jeden Tag kleidete Rebecca sich eigens für das Abendessen noch einmal um. Selbst ohne Gäste war es in den feinen Kreisen so üblich, die letzte Mahlzeit des Tages in formellerem Rahmen zu begehen.
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