Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
das Objekt seiner jugendlichen Begierde ihn erst heiß gemacht und dann eiskalt abserviert hatte, hatte er sich bei seinem allerersten Auftrag schließlich zum Vorteil gemacht. Er hatte dem Funktionär schöne Augen gemacht, ihn glauben lassen, er wäre in ihn verliebt, um ihn dann abzuservieren.
Verärgert darüber, dass die Erinnerungen just in diesem Moment zurückgekommen waren, erhob er sich, um sich zu empfehlen. Im Grunde war es rücksichtslos, dass Nigel von ihm verlangte, zu tun, was nötig war, doch glücklicherweise kam Rupert nur selten in die Verlegenheit, sämtliche Register ziehen. Wenn es jedoch vorkam, dass eine hübsche Frau von ihm erwartete, dass er sie verführte, war er der Letzte, der Widerstand leistete...
Nigel hätte längst wissen müssen, dass Rupert die Dinge auf seine eigene Art und Weise regelte. Trotz der Wut in seinem Bauch blickte Rupert dem älteren Mann gelassen in die Augen und sagte: »Mir ist durchaus bewusst, dass das Wohl unseres Landes an erster Stelle steht. Das habe ich stets beherzigt. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, sein Vaterland vor dem Bösen zu bewahren, ohne gleich die Regeln des Anstandes zu verletzen. Viele Wege führen zum Ziel, und ich ziehe es vor, so zu agieren, dass ich auch später noch in den Spiegel sehen kann. Einverstanden, ich werde herausfinden, ob das Mädchen eine begnadete Lügnerin ist oder die Wahrheit gesprochen hat, aber ich mache es auf meine Weise. «
»Manchmal frage ich mich allen Ernstes, warum ich immer wieder auf Eure Dienste zurückgreife«, versetzte Nigel ihm gereizt. »Nie tut Ihr, was man Euch sagt! «
»Solange das Ergebnis stimmt, kann es Euch doch gleichgültig sein, meint Ihr nicht auch? «, gab Rupert kühl zurück und ließ Nigel allein.
Kapitel 12
Nachts wälzte Rebecca sich von einer Seite auf die andere,weil ihre Gedanken unablässig um den Engel kreisten. Sie war derart unruhig, dass Elizabeth sie irgendwann anfuhr, sie möge endlich Ruhe geben.
Rebecca entschied, dass es das Beste war, herauszufinden, ob ihr Engel tatsächlich Rupert St. John hieß und was er in dem Gemach dieses Nigel zu schaffen hatte. War er womöglich aus demselben Grund dort gewesen wie sie? Oder hatte er lediglich einem Freund einen Besuch abstatten wollen? Und wer genau war dieser Nigel, den Lady Sarah allem Anschein nach bespitzelte?
Nur zu gern hätte sie den verpassten Schlaf nachgeholt, aber das blieb ihr verwehrt, da Flora bereits in aller Herrgottsfrühe ihren Dienst antreten würde. Zu allem Verdruss machte Elizabeth nach dem Aufstehen absichtlich viel Lärm, vermutlich, um sich an Rebecca zu rächen. Das Verhältnis zwischen den beiden hatte sich seit gestern weiter abgekühlt. Elizabeth murmelte vor sich hin, knallte Schranktüren, ließ ihre Kleider überall auf dem Boden verstreut liegen und drängelte sich bei jeder Gelegenheit an Rebecca vorbei.
Floras erste Amtshandlung an jenem Morgen bestand darin, Elizabeths Kleider mit dem Fuß aus dem Weg zu schieben - sehr zu Rebeccas Freude übrigens. Überraschenderweise tat Elizabeth, als bemerkte sie es nicht, was aber auch daran liegen konnte, dass Flora ihr von Anfang an klargemacht hatte, dass sie nicht ihre persönliche Dienstmagd war, nur weil sie ihr das Haar richtete. Den Bemühungen der Magd war es zu verdanken, dass Elizabeth nun eine Frisur trug, die wesentlich besser zu ihrem Typ passte. Besonders auffällig war, dass die Zimmergenossin, sobald sie mit Rebecca allein war, ständig nörgelte und schimpfte. In Floras Gegenwart hingegen verkniff sie sich ihre beißenden Kommentare.
Rebecca nahm Elizabeths Eskapaden mit Gelassenheit, versuchte, sich lieber darauf zu konzentrieren, wie sie Antworten auf die vielen Fragen fand, die ihr seit dem Vorabend im Kopf herumschwirrten. Benötigte Sarah eigentlich einen triftigen Grund, um eine der Hofdamen aus dem Dienst zu entlassen? Wenn ja, brauchte Rebecca sich keine Sorgen zu machen. Sarah hatte bestimmt kein gesteigertes Interesse daran, dass der Vorfall in Nigels Gemach ans Tageslicht kam. Außerdem hatte Rebecca Sarah unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nie wieder etwas tun würde, das sie für moralisch verwerflich hielt.
Eine Stunde später, als Rebecca die Gemächer der Herzogin betrat, hielt sie es für ein gutes Omen, dass sie mit Evelyn allein war. Die junge Frau, die schon länger am Hofe wohnte, konnte ihr bestimmt einige der Fragen beantworten, die ihr unter den Nägeln brannten. Nachdem Rebecca
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