Reid 3 Ungezähmte Sehnsucht
tendierten, hatte er beschlossen, den Vormittag dazu zu nutzen, seiner Familie einen Besuch abzustatten. Da er mit seiner Mutter unter einem Dach wohnte, hatte sie seine Abwesenheit längst bemerkt und würde ihn bestimmt fragen, wo er sich herumgetrieben hatte. Rupert freute sich schon darauf, sich in Andeutungen darüber zu ergehen, dass er sich mit einer seiner Gespielinnen verkrochen hatte. So, wie er seine Mutter kannte, würde sie ihm ohne Weiteres glauben.
Als er den Palastes verließ, staunte er allerdings nicht schlecht, als er sah, wie Rebecca gerade in eine der höfischen Kutschen stieg. Statt ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, lief er zu den Stallungen und holte sein Pferd, das er hatte satteln lassen. Wenige Minuten später hatte er die Kutsche eingeholt und folgte ihr in gebührendem Abstand. Mit einem breiten Grinsen beobachtete er, wie sie in die Old Bond Street einbog. Offenbar war sie nicht in Sarahs Auftrag unterwegs, sondern plante einen kleinen Einkaufsbummel, was bei den Damen ja bekanntermaßen gern einmal den gesamten Tag dauern konnte!
Verdutzt registrierte er, dass ihre Kutsche wider Erwarten nicht anhielt, sondern erst einige Straßenzüge später in der Wigmore Street stoppte, die ihm bislang noch nicht bekannt war.
Rupert lenkte sein Pferd hinter eine am Straßenrand geparkte Kutsche. Kein sonderlich gutes Versteck, aber die Gefahr, dass Rebecca ihn entdeckte, war nur gegeben, wenn sie tatsächlich in seine Richtung blickte. Angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten, die Rebecca - Sarahs Motive noch nicht einmal berücksichtigt - hierhergeführt haben konnte, machte er sich nicht einmal die Mühe, zu raten, warum sie gekommen war. Es war durchaus denkbar, dass ihre Familie eine Stadtvilla besaß. Oder sie besuchte eine Freundin.
Anders als erwartet stieg nicht Rebecca, sondern eine junge Magd aus der Kutsche, lief die Treppe hinauf und betätigte den Türklopfer, Jene Magd, auf die Rupert in Rebeccas und Elizabeths Gemach gestoßen war. Er hatte Elizabeth absichtlich im Garten warten lassen, weil er sich in aller Ruhe in ihrem Gemach hatte umsehen wollen. Die Enttäuschung darüber, dass er dort jemanden antraf, hatte sich in Grenzen gehalten. Er hatte ohnehin nicht damit gerechnet, etwas Belastendes zu finden.
Rupert hütete sich, voreilige Schlüsse daraus zu ziehen, dass die Magd an die Tür geklopft hatte. Womöglich hatte Rebecca sie vorgeschickt, um herauszufinden, ob ihre Freundin überhaupt zu Hause war, ehe sie sich aus der Kutsche bequemte.
Rupert beobachtete, wie ein Bediensteter die Tür öffnete, Rebeccas Magd aber nicht hineingebeten wurde. Als wenige Augenblicke später der Hausherr persönlich erschien, überreichte Rebeccas Magd ihm einen Umschlag und eilte zur Kutsche zurück. Rupert war, als wäre er von einem schweren Gegenstand am Kopf getroffen.
Er kannte den Mann - nicht persönlich, aber vom Sehen. Es handelte sich um denselben Lord Alberton, über den er im letzten Jahr in Nigels Auftrag Informationen eingeholt hatte. Das war, nachdem der junge Edward Oxford versucht hatte, die Königin bei einem Ausflug mit der Kutsche zu töten. Der Junge wäre des Hochverrats angeklagt, die Klage aber wegen Unzurechnungsfähigkeit abgewiesen worden. Nigel, der von Natur aus argwöhnisch war, wollte nicht glauben, dass die Tat auf das Konto eines geistig verwirrten Jünglings ging. Vielmehr hatte er vermutet, dass es sich bei dem Anschlag um ein Komplott handelte, und hatte jeden, mit dem Oxford in Kontakt stand, beschatten lassen, darunter auch Lord Alberton. Er war nämlich dabei beobachtet worden, wie er sich mit dem jungen Burschen eingehend unterhalten hatte. Alberton wiederum hatte angegeben, den Jungen lediglich zur Rechenschaft gezogen zu haben, weil er ihm die Vorfahrt genommen hatte. Nigel bezweifelte seine Aussage, da Alberton ein bekennender Tory war, der keinen Hehl daraus machte, dass er die politischen Entscheidungen der Königin für verfehlt hielt. Ein halbes Jahr hatte Nigel auf die Nachforschungen verwendet, so besessen war er von der Idee, Alberton könnte bei dem Anschlag seine Finger im Spiel gehabt haben. Rupert war seinerzeit froh gewesen, dass Nigel ihn aus dem Fall herausgehalten hatte. Er war von Anfang an das Gefühl nicht losgeworden, dass es sich um eine aussichtslose Angelegenheit handelte, und er sollte recht behalten.
Aber nur, weil Nigel keinen Beweis für eine Verschwörung gegen die Königin gefunden hatte, hieß das noch lange
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