Reif für die Insel
überquerten wir auf einem gebrechlichen Holzdamm noch eine breite Flußmündung. Irgendwo hatte ich gelesen, daß dieser Damm einige Jahre lang geschlossen und Barmouth bis vor kurzem der Endbahnhof dieser Strecke gewesen war. Es schien ein kleines Wunder, daß BR das Geld zur Reparatur des Damms investiert hatte und die Strecke aufrechthielt, aber ich wette, wenn ich in zehn Jahren wieder hierherkomme, ist dieses halbvergessene Zockelbähnchen nach Porthmadog in den Händen von Enthusiasten vom Schlage der Blaenau-Ffestiniog-Spinner, und ein Sturkopf mit einem akkuraten kleinen Schnauzbart erzählt mir, ich könne meinen Anschlußzug in Shrewsbury nicht kriegen, weil der Fahrplan des Clubs es nicht erlaube.
Drei Stunden und 105 Meilen nach meiner Abfahrt war ich deshalb froh, daß ich in Shrewsbury umsteigen konnte, solange ich noch die Möglichkeit dazu hatte. Ich wollte meine Reise gen Norden, Richtung John O’Groats fortsetzen, aber als ich durch den Bahnhof ging, hörte ich eine Ansage für einen Zug nach Ludlow und stieg einfach ein. Seit Jahren hatte ich immer wieder gehört, daß Ludlow ganz entzückend sei, und ich dachte plötzlich, das könne meine letzte Chance sein, es zu sehen. Und so betrat ich etwa zwanzig Minuten später einen einsamen Bahnsteig und lief dann einen langen Hügel hinauf in die Stadt.
Und tatsächlich war Ludlow ein netter, bezaubernder Ort auf einem Berggipfel hoch oben über dem Fluß Teme. Und er hatte alles, was man zum Leben braucht – Buchläden, ein Kino, ein paar reizende Tea Rooms und Bäckereien, etliche »Familienmetzgereien« (Ich bin immer versucht, hineinzugehen und zu fragen: »Was kostet es, meine zu verwursten?«), ein altmodisches Woolworth’s und das übliche Aufgebot an Drogerien, Pubs, Kurzwarengeschäften und dergleichen. Alle ordentlich in Reih und Glied und mit ihrer Umgebung harmonierend.
Die Ludlow Civic Society hatte freundlicherweise an vielen Gebäuden Täfelchen angebracht, die mitteilten, wer einmal wo gewohnt hatte. Auch an der Wand des Angel, einer alten Postkutschenstation in der Broad Street, die leider – und hoffentlich nur vorübergehend – mit Brettern vernagelt war, verkündete ein Täfelchen, daß die berühmte Kutsche Aurora die circa 100 Meilen nach London in etwas mehr als siebenundzwanzig Stunden zurückgelegt hatte, was einmal mehr zeigt, wie weit der Fortschritt gediehen ist. British Rail schafft es heute in der Hälfte der Zeit.
Nicht weit davon entfernt stieß ich zufällig auf das Hauptbüro einer Organisation namens The Ludlow and District Cats Protection League. Da wurde ich neugierig. Was, um Himmels willen, taten die Einwohner Ludlows ihren Katzen an, das eine besondere Schutzbehörde erforderlich machte? Vielleicht fehlt mir ja das nötige Feingefühl, aber bevor man nicht eine Katze anzündet und auf mich wirft, weiß ich nicht, was man den Viechern antun könnte, das mich veranlassen würde, einen Wohltätigkeitsverband ins Leben zu rufen, der ihre Interessen vertritt. Außer dem rührenden Vertrauen auf die Zuverlässigkeit von Wettervorhersagen und der weitverbreiteten Liebe zu Witzen, in denen das Wort »Hintern« vorkommt, gibt es nichts, bei dem ich mich mehr als Außenseiter fühle als bei der Haltung der Nation gegenüber Tieren. Wußten Sie, daß die Königliche Gesellschaft zum Schutz von Kindern sechzig Jahre später als die Königliche Gesellschaft zum Schutz der Tiere gegründet wurde, und zwar als deren Ableger? Wußten Sie außerdem, daß Großbritannien 1994 für eine Weisung der Europäischen Gemeinschaft votierte, die Ruhepausen für transportiertes Vieh vorschreibt, aber gegen gesetzliche Ruhepausen für Fabrikarbeiter?
Obwohl ich das alles wußte, fand ich es trotzdem kurios, daß es hier ein Büro gab, das sich nur um die Sicherheit und das Wohlergehen der Katzen der Stadt und des Bezirks Ludlow kümmerte. Nicht weniger rätselhaft fand ich den geographisch seltsam begrenzten Bereich, in dem die Gesellschaft tätig war. Was würde passieren, überlegte ich, wenn die Mitglieder sahen, wie man eine Katze unmittelbar außerhalb der Bezirksgrenzen piesackte? Würden sie resigniert mit den Achseln zucken und sagen:
»Außerhalb unseres Zuständigkeitsbereichs?« Wer weiß das schon? Ich jedenfalls nicht, denn als ich mich dem Büro näherte, um Erkundigungen einzuziehen, stellte ich fest, daß es geschlossen war. Offenbar waren die Angestellten – und lesen Sie jetzt bitte nichts hier hinein – beim
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