Reif für die Insel
Jahrhundert als Hafen für den Schiefer aus Blaenau von einem gewissen Alexander Maddocks erbaut worden ist und Ende des Jahrhunderts dort jährlich tausend Schiffe einliefen, um 116000 Tonnen walisischen Gesteins wegzutransportieren. Heute sind die Kais selbstredend saniertes Gebiet für Yuppies, man sieht gepflasterte Wege und schicke Apartments. Aus Gründen der Höflichkeit schaute ich sie mir an, folgte dann einer kleinen Seitenstraße durch ein Hafenviertel mit kleinen Bootshandlungen und anderen maritimen Geschäften, einen Hügel mit einer Wohn-siedlung hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter, bis ich mich in dem friedlichen Weiler Borth-y-Gest wiederfand, einem hübschen Dorf mit Backsteinvillen an einer hufeisenförmigen Bucht mit prächtigen Ausblicken über Treath Bach bis Harlech Point und die Tremado Bay dahinter. Borth-y-Gest war ein reizend altmodisches Nest. Mitten im Dorf mit Blick auf die Bucht gab es eine kleine Poststelle mit einer blauen Markise, auf deren flatterndem Teil »SWEETS« und »ICES« angeboten wurden, und in der Nähe sogar eine Lokalität namens Sea View Café.
Ich folgte einem grasbewachsenen Pfad oberhalb des Meeres in Richtung einer Landspitze. Selbst unter den tiefhängenden Wolken sahen die Glaslyn-Mündung und die Snowdon-Kette dahinter richtig majestätisch aus. Es blies ein stürmischer Wind, und unter mir schlug eine tobende See beeindruckend gegen die Felsen. Doch zumindest regnete es noch nicht, und die Luft war kräftig und frisch, wie sie eben nur am Meer ist. Es wurde dunkel, und weil ich Angst hatte, daß ich noch in den Wellen tief unten landen würde, eilte ich zurück in die Stadt. Dort angekommen, entdeckte ich, daß die paar vorher offenen Läden nun auch geschlossen hatten. Nur ein schmaler, halbherziger Lichtstrahl drang durch die Dunkelheit. Ich ging hin, um nachzuforschen, und es handelte sich wahrhaftig um den Bahnhof und das noch offene Hauptbüro der berühmten Blaenau Ffestiniog Railway. Gespannt, das Nervenzentrum dieser Organisation zu betreten, die mir eben noch soviel Kummer und Ungemach beschert hatte, ging ich hinein. Obwohl es weit nach fünf Uhr war, hatte die Bahnhofsbuchhandlung geöffnet. Eine Anzahl Kunden stöberte schweigend darin herum. Ich gesellte mich dazu. Ein außergewöhnlicher Buchladen. Er strotzte von Titeln wie
Die Eisenbahnen des Wnion Valley, Die Mündung des Mawddach und Vollständige Enzyklopädie der Stellwerke . Es gab eine vielbändige Reihe Züge in Not , die Seite um Seite Fotografien von Entgleisungen, Zusammenstößen und anderen Katastrophen zeigten. Und für diejenigen, die noch heftigeren Nervenkitzel suchten, gab es Dutzende von Videos. Ich nahm willkürlich eins heraus, es hieß Die Hunslet and Hundreds Dampf-Rally 7993 und hatte einen Aufkleber, der kühn »Fünfzig Minuten Dampf-Action!« versprach. Darunter befand sich ein weiterer mit folgendem Text:
»Warnung: Enthält eindeutige Szenen der Verkupplung einer Sturrock-C-Schlepptenderlok mit einem Great-Western-Railway-Selbstentlader.« Das habe ich natürlich erfunden, aber geradezu schockiert fiel mir auf, daß alle Leute um mich herum mit genau der gleichen selbstversunkenen Konzentration ruhig atmend in den Büchern schnüffelten wie die Leute in einem Pornoladen, und ich fragte mich plötzlich, ob es noch eine besondere Dimension bei diesem blödsinnigen Eisenbahnhobby gab, die mir bis dato entgangen war. Laut einer Tafel an der Wand wurde die Eisenbahn von Blaenau Ffestiniog 1832 gegründet und ist die älteste auf der Welt, die noch in Betrieb ist. Der Club hat 6000 Mitglieder, eine Zahl, die mich völlig umhaute. Obwohl der letzte Zug des Tages seine Fahrt schon vor einiger Zeit beendet hatte, saß noch ein Mann im Kartenhäuschen. Ich ging zu ihm und fragte ihn, warum die Fahrpläne der Eisenbahn und der Busse in Blaenau nicht aufeinander abgestimmt seien. Ich weiß nicht, warum, denn ich war der Charme leibhaftig, aber er war deutlich beleidigt, als hätte ich seine Frau kritisiert, und sagte verdrießlich: »Wenn Gwynned Transport will, daß die Leute den Mittagszug in Blaenau kriegen, sollte es dafür sorgen, daß der Bus früher abfährt.«
»Aber genausogut«, beharrte ich, »könnten Sie den Zug doch auch ein bißchen später fahren lassen.«
Er schaute mich an, als sei ich unerhört dreist, und fragte pikiert: »Aber warum denn das?«
Und sehen Sie, da haben Sie alles, was mit diesen Eisenbahnfanatikern nicht stimmt. Sie sind
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