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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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irrational, streitsüchtig, gefährlich kleinkariert und tragen wie dieser Mann oft ärgerliche kleine Schnauzbärte, so daß man zwei Finger wie Gabelzinken ausfahren und ihnen in die Augen stechen möchte. Dank meiner investigativen journa-listischen Arbeit im Buchladen haben wir außerdem genügend Beweise, um als gesichert anzunehmen, daß sie widernatürliche Akte mit Dampflokvideos vollziehen. Zu ihrem eigenen und der Gesellschaft Besten sollten sie weggeschafft und hinter Stacheldraht interniert werden.
    Ich überlegte, ob ich an Ort und Stelle eine Festnahme durch eine Zivilperson vornehmen sollte – »Im Namen Ihrer Majestät der Königin nehme ich Sie wegen des Vergehens in Gewahrsam, aufreizend stur bei der Gestaltung Ihrer Fahrpläne zu sein und einen provokanten, unpassenden kleinen Schnauzbart zu tragen« –, aber ich war in großzügiger Stimmung und entließ ihn mit einem strengen Blick und der impliziten Versicherung, daß die Hölle einen Temperatursturz erleben würde, bevor ich mich noch ein einziges Mal in die Nähe seiner Eisenbahn wagte. Ich glaube, er hat’s kapiert.
     

Einundzwanzigstes Kapitel
     
    Am nächsten Morgen ging ich zum Bahnhof in Porthmadog – nicht dem Spielzeugeisenbahnhof der Blaenau-Ffestiniog-Bahn, sondern dem echten von British Rail. Das Bahnhofsgebäude war geschlossen, aber auf dem Bahnsteig standen etliche Leute, die alle eifrig bemüht waren, sich nicht anzuschauen. Ich glaube, sie standen jeden Morgen an derselben Stelle. Ich bin sogar ziemlich sicher, denn als ich dort wartete, kam ein Mann im Anzug und schaute mich erst überrascht und dann böse an, weil ich offenbar seinen Quadratmeter Bahnsteig okkupierte. Er bezog ein, zwei Meter weiter weg Stellung und beäugte mich mit einem Ausdruck, den man ohne weiteres als haßerfüllt bezeichnen konnte. Wie leicht ist es bisweilen, sich in Großbritannien Feinde zu machen. Man braucht nur auf der falschen Stelle zu stehen oder sein Auto in der falschen Einfahrt zu wenden – dem Typ stand WENDEN VERBOTEN auf der Stirn geschrieben – oder in aller Unschuld den Platz eines anderen im Zug zu besetzen, und sie hassen einen still und heimlich bis ins Grab.
    Schließlich kam ein Sprinter mit zwei Wagen, und wir stiegen ein. Mit den harten Sitzen, dem rätselhafterweise gleichzeitig heißen und kalten Durchzug, der grellen Beleuchtung und vor allem der üblen Farbe – orangene Streifen und kompromißlos zackige Zickzackzierleisten – sind das wirklich überaus unbequeme, rein zweckmäßige, unschöne Züge. Wie kann man bloß auf den Gedanken kommen, daß Zugreisende so früh am Morgen gleich von Unmengen Orange umgeben sein wollen? Wehmütig erinnerte ich mich an die altmodischen Züge, die es noch gab, als ich nach Großbritannien gekommen war. Sie bestanden aus einer Reihe separater Abteile ohne Gänge, jedes eine kleine, in sich abgeschlossene Welt. Es war immer ein erregender Moment, wenn man die Wagentür öffnete und nie wußte, was einen dahinter erwartete, und es hatte etwas angenehm Intimes und Schicksalhaftes, auf engstem Raum mit völlig Fremden zu sitzen. Einmal saß ich in solch einem Abteil, und ein Fahrgast, ein schüchterner junger Mann im Trenchcoat, erbrach sich urplötzlich heftig auf den Boden – es war während einer Grippeepidemie – und erdreistete sich dann, am nächsten Bahnhof aus dem Wagen zu stolpern, während wir verbleibenden drei mit verkniffenen Gesichtern und eingezogenen Zehen schweigend in den Abend hineinfuhren und typisch britisch so taten, als sei nichts geschehen. Wenn ich’s mir recht überlege, ist es vielleicht doch besser, daß es die Züge nicht mehr gibt. Aber mit orangefarbenen Zickzackzierleisten kann ich mich trotzdem nicht anfreunden.
    Die Küstenstrecke führte an den breiten Flußmündungen und zerklüfteten Bergen der glatten, grauen Cardigan Bay entlang. Die Städte am Wegesrand hatten alle Namen, die klangen, als würge eine Katze ein Haarknäuel heraus: Llywyngwril, Morfa Mawddach, Llandecwyn, Dyffryn Ardudwy. In Penrhyndeudraeth füllte sich der Zug mit uniformierten Schulkindern aller Altersstufen. Ich rechnete schon damit, daß sie gleich johlen und rauchen und Sachen durch die Gegend schmeißen würden, aber sie hatten samt und sonders untadelige Manieren. Sie stiegen in Harlech aus, und plötzlich war es im Wageninneren leer und ruhig – so ruhig, daß ich hörte, wie sich das Paar hinter mir in Walisisch unterhielt, was mich erfreute. Bei Barmouth

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