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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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bei Ebbe zu überqueren, und im tückischen Treibsand versunken und nie wieder gesehen worden waren. Selbst jetzt noch wandern Leute manchmal zu weit hinaus und werden dann durch die herein-strömende Flut abgeschnitten.
    Ich wüßte angenehmere Arten, einen Nachmittag zu beschließen.
    Wagemutig ging ich ein paar hundert Meter zu den Sandbänken hinaus, studierte die Wurmhäufchen und interessanten Wellenmuster, die die zurückweichenden Fluten hinterlassen, behielt aber wohlweislich den Treibsand im Auge. Es ist auch gar kein Sand, sondern Schlick, und er saugt einen wirklich weg, wenn man hineintappt. In Morecambe schießt das Wasser bei Flut nicht einfach herein wie in der Severnmündung, sondern es kriecht aus verschiedenen Richtungen herbei, was besonders gefährlich ist, weil man sich leicht auf einer großen, aber heimtückisch schrumpfenden Sandbank inmitten einer großen, nassen Bucht gestrandet sieht – besonders, wenn man dazu neigt, sich in seine Gedanken zu verlieren. Ich paßte also gut auf und traute mich nicht zu weit hinaus.
    Ach, es war richtig schön – unter Garantie schöner als alles, was Blackpool zu bieten hatte. Schon allein das komische Gefühl, über den Meeresboden zu laufen und sich vorzustellen, daß man gleich neun Meter unter Wasser sein könnte. Und dann die Einsamkeit. Wenn man aus einem großen Land kommt, ist es nämlich mit am schwersten, sich daran zu gewöhnen, daß man in England im Freien selten wirklich allein ist. Man findet kaum einen Platz, wo man, sagen wir, in Ruhe pieseln kann, ohne befürchten zu müssen, gleich im Fernglas eines Vogelbeobachters aufzutauchen oder eine beherzte Wanderin um die nächste Ecke auf sich zukommen zu sehen. Auf dem weiten Sandstrand allein zu sein war also ein ziemlicher Luxus.
    Von hier draußen, aus ein paar hundert Metern Entfernung, sah Morecambe in der Spätnachmittagssonne wunderhübsch aus, und als ich den Strand verließ und ein paar moosige Betonstufen zur Promenade hochkletterte, sah es auch von nahem und weit weg von den trostlosen Bingohallen und den Ramschläden gar nicht so übel aus. Die Pensionen am östlichen Abschnitt der Marine Road wirkten ordentlich und adrett und liebenswürdig zuversichtlich. Mir taten die Besitzer leid, die ihre Hoffnungen in die Häuser investiert hatten und sich nun in einem sterbenden Seebad befanden. Der Abstieg, der in den Fünfzigern begann und in den Siebzigern unaufhaltsam wurde, muß für diese armen Leutchen verwirrend unbegreiflich gewesen sein, da sie doch zusehen konnten, wie Blackpool, gerade mal zwanzig Meilen weiter im Süden, boomte.
    Törichterweise, wenn auch verständlich, versuchte Morecambe mit Blackpool zu konkurrieren. Es baute ein teures Delphinarium und ein neues Freibad, und kürzlich war sogar der hirnrissige Plan aufgetaucht, einen Mr.-Blobby-Freizeitpark anzulegen. Dabei liegt Morecambes Zauber doch darin, daß es nicht Blackpool ist. Das gefiel mir ja auch so – daß es friedlich, freundlich und manierlich ist, daß es in den Pubs und Cafés viel Platz gibt, daß man nicht von Jugendlichen mit überschüssigen Kräften von der Bordsteinkante geschubst wird und auf weggeworfenen Plastikfrittentellern Bürgersteigsurfen machen muß.
    Ach, wie schön wäre es, wenn die Leute eines Tages die Wonnen eines ruhigen Urlaubs am Meer wiederentdecken würden, die einfachen Freuden, auf einer gutgepflegten Uferpromenade spazierenzugehen, am Geländer zu lehnen und den Ausblick zu genießen, mit einem guten Buch in einem Café zu sitzen oder einfach herumzubummeln. Dann blüht und gedeiht Morecambe vielleicht wieder. Und wäre es nicht herrlich, wenn die Regierung Maßnahmen ergriffe, dahinschwindende Orte wie Morecambe zu restaurieren? Den Pier nach den Originalplänen wieder errichtete, einen neuen Winter Gardens subventionierte, die Gebäude an der Strandpromenade sanierte, und vielleicht eine Abteilung des Finanzamts oder sonst eine Institution in die Stadt verlegte, um ihr zu einem bißchen Leben rund ums Jahr zu verhelfen.
    Es bedarf nur eines Anstoßes und eines vernünftigen langfristigen Plans, und man würde garantiert auch die Leute hierherlocken, die Buchläden eröffnen möchten, kleine Restaurants, Antiquitätenläden, Galerien, von mir aus auch Tapas-Bars und ein Boutique-Hotel. Warum denn nicht?
    Morecambe könnte ein kleines nordenglisches Pendant von Sausalito oder St. Ives werden. Vielleicht grinsen Sie bei der Vorstellung, aber was hat denn ein Ort wie

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