Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
gewaltige, senkrechte Abhänge hoch, über rumpelnde Geröllhalden und dicke Grasbüschel, um hochaufragende Felszitadellen herum und gelangten hoch oben schließlich in ein kaltes, trostloses Totenreich, das so einsam und unwirtlich war, daß sogar die Schafe bei unserem Anblick erschraken. Dahinter lagen noch höhere und entferntere Gipfel, die von der schmalen, schwarzen Straße Hunderte von Metern unter uns völlig unsichtbar gewesen waren. John und seine Freunde spielten in der allerbrutalsten Weise mit meinem Lebenswillen. Wenn sie sahen, daß ich zurückblieb, lümmelten sie sich auf Felsbrocken, rauchten und schwatzen und ruhten sich aus, doch in dem Moment, in dem ich sie in der Absicht, zu ihren Füßen niederzusinken, einholte, sprangen sie erholt auf und marschierten mit ein paar aufmunternden Worten und großen männlichen Schritten weiter, so daß ich hinter ihnen herstolpern mußte und mich nie ausruhen konnte. Ich keuchte und geiferte und ächzte vor Schmerzen. Etwas auch nur entfernt so Widernatürliches hatte ich noch nie gemacht, und ich schwor mir, eine solche Dummheit auch nie wieder zu begehen.
    Und als ich mich dann gerade hinlegen und nach einer Bahre rufen wollte, erklommen wir eine letzte Erhebung und befanden uns urplötzlich, wie durch Zauber, auf dem Gipfel der Erde, auf einer Terrasse im Himmel inmitten eines Ozeans wogender Bergkuppen. Ich hatte noch nie etwas auch nur halb so Schönes gesehen. »Ja, leck mich!« sagte ich in einem Augenblick besonderer Eloquenz: Ich war hin und weg. Seitdem war ich jedesmal mitgegangen, wenn sie mich mitnahmen, und hatte nie gemeckert und sogar angefangen, meine Hosenbeine in die Socken zu stopfen. Und konnte es nun bis zum nächsten Morgen gar nicht abwarten.
    Die Fähre legte an, und ich schlurfte mit den anderen an Bord. Überaus entzückend lag der Windermere ruhig im sanften Sonnenlicht. Völlig unüblich störte auch kein einziges Boot seine gläserne Stille. Die Behauptung, daß dieser See bei Wassersportlern beliebt ist, ist eine unverantwortlich frivole Untertreibung. Etwa 14000 Motorboote – ich möchte diese Zahl wiederholen: 14000 – sind registriert. An einem gutbesuchten Sommertag sind vielleicht 1600 Motorboote gleichzeitig auf dem Wasser, von denen viele mit sechzig Stundenkilometern und Wasserskiläufern im Schlepptau vorbeizischen. Und das zusätzlich zu all den anderen Typen seetüchtiger Objekte, die nicht angemeldet werden müssen – den Schlauchbooten, Segelbooten, Surfbrettern, Kanus, Gummibooten, Luftmatratzen, diversen Ausflugsdampfern und der alten Tuckerfähre, auf der ich jetzt fuhr –, alle auf der Suche nach einem schiffsgroßen Stück Wasser. Wenn man an einem Augustsonntag an einem Seeufer im Lake District steht und Wasserskifahrer durch dicht gestaffelte Schlauchbootgeschwader und anderen schwimmenden Abfall brettern sieht, reißt man über kurz oder lang Mund und Augen auf und faßt sich an den Kopf.
    Etwa ein Jahr zuvor war ich wegen eines Artikels für die National Geographie ein paar Wochen an den Seen gewesen, und dabei fiel für mich auch eine Fahrt mit einer Nationalparksbarkasse ab. Ein zweifelhaftes Vergnügen. Um mir zu zeigen, wie gefährlich es war, in Booten mit Hochleistungsmotoren über einen so befahrenen See zu rasen, steuerte der Parkaufseher das Gefährt hinaus in die Mitte des Gewässers, sagte, ich solle mich gut festhalten – woraufhin ich lächelte, immerhin mache ich neunzig Meilen auf der Autobahn –, und gab Gas. Hm, ich sage nur eins: Gegen vierzig Meilen pro Stunde in einem Boot sind vierzig Meilen auf der Straße nichts. Wir rasten los, ich wurde in den Sitz zurückgeschleudert, klammerte mich mit beiden Händen aus Leibeskräften fest, und dann schossen wir übers Wasser wie ein flacher Stein, der aus einem Gewehr abgefeuert wird. So starr vor Angst war ich selten. Selbst an dem ruhigen Morgen außerhalb der
    Saison war der Windermere mit Hindernissen verstopft. Wir flitzten zwischen kleinen Inseln her und schrammten in Schräglage an Landzungen vorbei, die so plötzlich und bedrohlich auftauchten wie Schreckgespenster in der Geisterbahn. Wenn man sich vorstellt, daß diese Fläche von 1600 rasenden Booten befahren wird, die ein schmerbäuchiger Stadtidiot mit so gut wie keiner Erfahrung mit diesen Fahrzeugen steuert, plus all dem schwimmenden Treibgut aus Ruderbooten, Kajaks, Tretbooten und dergleichen, ist es doch ein Wunder, daß im Wasser nicht lauter Leichen sind.
    Das Erlebnis

Weitere Kostenlose Bücher