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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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fürchte, ich gehöre dazu. Unbestimmbare Zeit später erwachte ich mit einem brünftigen Schnauben, schlug kurz und wild mit den Armen um mich, hob den Kopf von der Brust und stellte fest, daß ich von Bart bis Gürtelschnalle von einem Spinnennetz aus Sabber besudelt war und drei Leute mich mit seltsam teilnahmsloser Miene anstarrten. Wenigstens blieb mir die übliche Erfahrung erspart, aufzuwachen und festzustellen, daß mich eine Gruppe kleiner Kinder mit offenen Mündern anstarrt und angesichts der Entdeckung, daß dieser sabbernde Koloß lebendig ist, kreischend die Flucht ergreift.
    Erschreckt vor meinem Publikum zurückweichend, tupfte ich mich diskret mit dem Jackenärmel ab und konzentrierte mich auf den Blick nach draußen. Wir ratterten durch eine weite, offene Landschaft, die eher nett als dramatisch war – Ackerland bis weit zu den großen, runden Bergen hin –, und der Himmel schien unter seinem eigenen schweren Grau zu kollabieren. Von Zeit zu Zeit hielten wir in einer trägen, kleinen Stadt mit einem toten, kleinen Bahnhof – Ladybank, Cupar, Leuchars – und erreichten schließlich mit Dundee, Arbroath und Montrose eine größere, etwas geschäftigere Welt. Drei Stunden nach unserer Abfahrt von Edinburgh glitten wir in spärlichem, rasch schwindendem Licht nach Aberdeen hinein.
    Neugierig drückte ich das Gesicht gegen die Scheibe. Ich war noch nie in Aberdeen gewesen und kannte auch niemanden, der dort gewesen war. Ich wußte fast nichts über die Stadt, außer, daß sie von der Nordseeölindustrie beherrscht wird und sich stolz »Granite City« nennt. Sie war mir immer irrsinnig abgelegen erschienen, als würde ich dort wahrscheinlich nie hinkommen, deshalb wollte ich sie unbedingt sehen.
    Ich hatte mich in einem Hotel eingemietet, das in meinem Reiseführer wärmstens empfohlen wurde (der dicke Wälzer endete als Feuerholz), sich aber als ödes, überteuertes Hochhaus in einer Seitenstraße entpuppte. Mein Zimmer war klein und düster, das Mobiliar angeschlagen, das Bett vom Format einer Gefängnis-pritsche, die Zudecke hauchdünn, das einzige Kissen alles andere als weich und die Tapete eifrig bemüht, von einer feuchten Wand zu fliehen. In einem ambitionierten Moment hatte die Hotelleitung eine Art Mischpult am Bett anbringen lassen, von dem aus man Lampen, Radio und
    Fernseher einschalten konnte und in dem überdies ein Wecker eingebaut war, aber nichts davon funktionierte. Den Weckerknopf hatte ich sofort in der Hand. Seufzend ließ ich meine Siebensachen aufs Bett plumpsen und kehrte auf die dunklen Straßen Aberdeens zurück auf der Suche nach Essen, Trinken und granitenem Glanz.
    Eines habe ich über die Jahre gelernt: Die Eindrücke, die man von einer Stadt gewinnt, werden unweigerlich von dem Weg geprägt, den man für die Anreise wählt. Fahren Sie durch die grünen Vororte Richmond, Barnes und Putney nach London hinein und steigen Sie, sagen wir, in Kensington Gardens oder Green Park aus, und Sie glauben, inmitten einer riesigen, wohlgepflegten ländlichen Idylle zu sein. Nehmen Sie die Strecke über Southend, Romford und Liverpool Street, und Sie bekommen ein völlig anderes Bild. Vielleicht lag es also lediglich an dem Weg, den ich von meinem Hotel aus nahm. Ich lief jedenfalls knapp drei Stunden straßauf, straßab und fand an Aberdeen nichts auch nur annähernd Bewundernswürdiges. Es gab hier und da ein paar Lichtblicke – eine Fußgängerzone am Mercat Cross, ein interessant aussehendes kleines Museum namens John Dun’s House, ein paar eindrucksvolle Universitätsgebäude –, aber sooft ich auch kreuz und quer durchs Zentrum ging, ich stieß immer nur auf einen riesigen, glamourösen neuen Einkaufskomplex, den zu umschiffen absolut nervig war (grummelnd landete ich stets aufs neue in Sammellagern für Pappkartons und Ladebuchten, von denen aus es nicht weiterging). Oder ich fand mich in einer breiten, endlosen Straße mit genau den gleichen Läden wieder, die ich in den letzten sechs Wochen in jeder zweiten Stadt gesehen hatte. Es war wie überall und nirgends – wie ein kleines Manchester oder ein x-beliebiger Teil von Leeds. Vergebens suchte ich eine einzige Stelle, wo ich mich hinpflanzen, die Hände in die Hüfte stemmen und sagen konnte: »Aha, das also ist Aberdeen.« Vielleicht lag es ja auch an der düsteren Jahreszeit. Irgendwo hatte ich gelesen, daß Aberdeen neunmal den Wettbewerb »Britain in Bloom« gewonnen hatte, aber ich sah kaum einen Park oder grünen

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