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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Fleck. Vor allem hatte ich selten das Gefühl, mitten in einer reichen stolzen, aus Granit erbauten Stadt zu sein.
    Und zu allem Überfluß konnte ich mich nicht entscheiden, wo ich essen wollte. Ich gieperte nach etwas anderem, etwas, das ich auf dieser Reise nicht schon hundertmal gegessen hatte – Thai oder Mexikanisch vielleicht, oder vielleicht Indonesisch oder sogar Schottisch –, aber ich fand immer wieder nur die üblichen chinesischen oder indischen Restaurants, wie üblich in einer Seitenstraße, wie üblich eine Treppe hoch, die aussah, als sei sie erst kürzlich für ein Motorradrennen benutzt worden, doch ich konnte mich nicht überwinden, diese schreckliche Klettertour ins Unbekannte zu machen. Ich wußte ja eh genau, was mich dort oben erwartete – trübes Licht, ein Empfangsbereich mit einem gepolsterten Tresen, asiatische Klimpermusik, Tische voll Edelstahl-tellerwärmern und Biergläsern. Nein, danke. Verzweifelt veranstaltete ich schlußendlich eine Runde »Ene mene mu«, und das Schicksal bestimmte einen Inder. Es war bis auf das letzte Reiskorn so wie jedes indische Essen, das ich in den Vorwochen gegessen hatte. Selbst der Rülpser nach dem Essen schmeckte genauso wie immer. Unzufrieden und miesepetrig kehrte ich in mein Hotel zurück.
    In der aufrichtigen Hoffnung, daß die Stadt mir besser gefallen würde, machte ich am nächsten Morgen einen Spaziergang. Aber leider, leider wurde ich enttäuscht. Aberdeen war eigentlich ganz in Ordnung, doch fade bis zur Schmerzgrenze. Ich bummelte durch das neue Einkaufszentrum und streifte ziemlich weit durch die Straßen im Umkreis, doch ich fand sie alle gleich farblos, man konnte sie getrost vergessen. Und dann begriff ich, daß das Problem nicht sosehr in Aberdeen begründet war, als im Wesen des modernen Großbritannien. Britische Städte sind wie ein Kartenspiel, das endlos neu gemischt und ausgeteilt worden ist – die gleichen Karten, andere Reihenfolge. Wenn ich aus einem anderen Land nach Aberdeen gekommen wäre, hätte ich es wahrscheinlich angenehm und schön gefunden. Es war wohlhabend und sauber, hatte Buchläden und Kinos, eine Universität und im großen und ganzen alles, was man in einer Stadt braucht. Ich bezweifle ja nicht, daß man nett dort leben kann. Es war nur so sehr wie überall sonst auch.
    Nachdem ich diesen kleinen Gedanken in meinem Kopf verstaut hatte, mochte ich es viel lieber. Ich meine nicht, daß ich darauf brannte, mit Sack und Pack dort hinzuziehen – und wieso auch? Genau die gleichen Dinge, die Läden, Bibliotheken und Freizeitzentren, Pubs und Fernsehprogramme, Telefonzellen, Postgebäude, Ampeln, Parkbänke, Zebrastreifen, Seeluft und Post-indischem-Essen-Rülpser konnte ich ja genauso überall sonst haben. Aber eben das, was Aberdeen am Abend zuvor langweilig und vorhersagbar gemacht hatte, machte es komischerweise nun vertraut, ja richtig heimelig. Doch nie hatte ich auch nur eine Spur das Gefühl, daß ich in Granite City war, und ohne Bedauern holte ich meine Sachen aus dem Hotel und kehrte zum Bahnhof zurück, um meine Fahrt gen Norden fortzusetzen.
    Wieder war der Zug sehr sauber, fast leer und besänftigend blau und grau. Er bestand nur aus zwei Waggons, hatte aber einen Minibarservice. Das beeindruckte mich. Nur war der junge Bursche, der die Minibar schob, leider sehr emsig – ich hatte den Eindruck, daß er gerade mit dem Job angefangen hatte, mithin immer noch an dem Punkt war, wo es ihm Spaß machte, Tee auszuteilen und Geld zu wechseln. Da es nur zwei andere Fahrgäste und nur 55 Meter zu patrouillieren gab, kam er alle drei Minuten vorbei. Der ständige Krach des vorbeiratternden Wagens bewahrte mich aber wenigstens davor, einzunicken und in peinliche Hypersabberei zu geraten.
    Wir fuhren durch eine schöne, unaufregende Landschaft. Ich kannte die Highlands nur an der dramatischeren Westküste, das hier war im Vergleich entschieden ruhiger – sanfte Berge, niedrige Bauernhöfe, gelegentliche Ausblicke auf ein leeres, stahlgraues Meer –, durchaus nicht unschön. Die Fahrt verlief ereignislos. Nur in Nairn stieg ein großes Flugzeug auf und vollführte alle möglichen erstaunlichen Dinge am Firmament, es klettere mehrere hundert Fuß senkrecht in die Höhe, kippte dann langsam nach vorn und stürzte sich zur Erde, um beinahe im letzten Augenblick in steilen Kurven wieder hochzufliegen. Es kam wahrscheinlich von einem Übungsflughafen der britischen Luftwaffe, aber ich fand es aufregender, mir

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