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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Hotels nicht funktionierte! Mir floß das Herz über vor Wärme und Zuneigung für dieses merkwürdige, unergründliche Land.
    Und es geschieht alles instinktiv, das kommt noch dazu. Ich erinnere mich, als ich, neu im Land, eines Tages an einem Bahnhof ankam und sah, daß nur zwei von etwa einem Dutzend Schalter offen waren. (Zum besseren Verständnis des ausländischen Lesers sollte ich erklären, daß in Großbritannien folgende Regel gilt: Ganz einerlei, wie viele Schalter es in einer Bank, einer Post oder einem Bahnhof gibt, es sind immer nur zwei besetzt. Außer bei Hochbetrieb. Da ist nur einer auf.) An beiden wurde bedient. In einem anderen Land wäre nun eins von beidem passiert: Entweder hätten sich die Kunden vor den Schaltern gedrängelt und alle gleichzeitig verlangt dranzukommen, oder es hätte zwei sich langsam vorwärtsschiebende Schlangen gegeben, voll ärgerlicher Wartender, die überzeugt waren, daß sich die andere Schlange schneller bewegte.
    Hier in Großbritannien waren die Leute spontan auf ein viel vernünftigeres und raffinierteres Verfahren gekommen. Sie hatten eine einzige Schlange ein paar Meter weit von beiden Schaltern entfernt gebildet. Immer wenn einer frei wurde, ging der erste in der Schlange hin, und der Rest schlurfte einen Schritt vor. Es war wunderbar fair und demokratisch, und das Bemerkenswerte war, daß es niemand befohlen oder auch nur vorgeschlagen hatte.
    Es geschah einfach.
    Etwas Ähnliches passierte nun. Denn nachdem die Dame mit dem widerspenstigen Flimmerkasten ihre Entschuldigung vorgebracht hatte (und ich muß sagen, daß der Empfangsmensch sie ungewöhnlich anstandslos akzeptierte und sogar soweit ging, anzudeuten, falls sich sonst noch etwas im Zimmer der Frau als funktionsuntüchtig erweise, solle sie doch um Gottes willen nicht die Schuld bei sich suchen), wandte er sich an mich und einen weiteren, ebenfalls wartenden Herrn und fragte: »Wer ist der nächste?« Woraufhin der Herr und ich uns dem komplizierten Procederé, »Nach Ihnen«, »Nein, nach Ihnen«, »Aber ich bestehe darauf«, »Ach, das ist aber sehr liebenswürdig« unterwarfen, und mir das Herz nun geradezu überfloß.
    Und so trat ich denn an meinem zweiten Morgen in Edinburgh, aufgemuntert von dieser heiteren, zivilisierten Begegnung, glücklich und zufrieden und eins mit der Welt aus dem Hotel. Die Sonne schien, und die Stadt war wieder wie verwandelt. Die George Street und die Queen Street waren ausgesprochen hinreißend, die steinernen Fassaden glänzten im Sonnenschein, die feuchte, drückende Dunkelheit, die sie am Vortag verdüstert hatte, war gänzlich geschwunden. Der Firth of Forth schimmerte in der Ferne, und die kleinen Parks und Plätze waren grün und voller Leben. Ich stapfte The Mound zu den alten Stadtterrassen hoch, um mich umzuschauen, und war erstaunt, wie anders alles aussah. Princes Street war immer noch eine Schandmeile architektonischer Fehltritte, aber die dichtgedrängten, eleganten Dächer und hochauf-ragenden Kirchtürme auf den Hügeln dahinter verliehen der Stadt Charakter und Eleganz, was mir am Vortag völlig entgangen war.
    Den Morgen machte ich einen auf Tourist, ich besuchte die Kathedrale St. Giles, schaute mir Holyroodhouse an und kletterte auf den Gipfel des Calton Hill. Dann holte ich meinen Rucksack und ging zum Bahnhof, froh, daß ich mit Edinburgh meinen Frieden geschlossen hatte und wieder auf Achse war.
    Und was ist doch eine Zugreise für eine feine Sache! Schon als wir aus Edinburgh durch die ruhigen Vororte und über die Brücke über den Forth hinauszockelten, begann die Bewegung der Bahn mich einzulullen. (Und meine Güte, die Brücke ist ein mächtiges Bauwerk; plötzlich begriff ich, warum die Schotten sich nicht genug darüber auslassen können.) Der Zug war fast leer und richtig feudal. Er war in beruhigenden Blau- und Grüntönen gehalten, ein scharfer Kontrast zu den diversen Triebwagen, in denen ich während der letzten Tage gereist war. Er erwies sich tatsächlich als so beruhigend, daß meine Lider bald unerträglich schwer wurden und mein Hals sich in ein gummiartiges Material verwandelte. Im Handumdrehen sackte mir der Kopf auf die Brust, und ich beschäftigte mich nun nur noch mit der leisen, stetigen Produktion etlicher Liter Spucke – für die ich leider keine rechte Verwendung hatte.
    Manche Leute sollten in der Eisenbahn einfach nicht schlafen, oder wenn sie eingeschlafen sind, stillschwei-gend mit einer Plane bedeckt werden, und ich

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