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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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vorzustellen, daß es von einem wahnsinnigen Selbstmörder gekidnappt worden war. Und dann passierte etwas Atemberaubendes. Das Flugzeug flog auf den Zug zu, hielt geradewegs Kurs auf uns, als habe der Pilot uns erspäht und fände es interessant, uns mitzunehmen. Es kam immer näher und wurde immer größer – ich schaute mich unbehaglich um, doch es war niemand da, mit dem ich das Erlebnis hätte teilen können –, bis es beinahe das ganze Fenster ausfüllte. Doch da fuhr der Zug in einen Tunnel, und das Flugzeug verschwand aus dem Blickfeld. Um meine Nerven zu beruhigen, kaufte ich mir einen Kaffee und ein Päckchen Kekse von der Minibar und wartete darauf, daß Inverness kam.
    Ich mochte die Stadt sofort. Sie wird nie einen Schönheitswettbewerb gewinnen, hat aber ein paar liebenswerte Besonderheiten – ein altmodisches, kleines Kino namens La Scala, eine guterhaltene Marktpassage, auf einem Hügel eine große, hinreißend ausgenippte Sandsteinburg aus dem neunzehnten Jahrhundert, ein paar prächtige Spazierwege am Fluß entlang. Mir hatten es besonders die trüb beleuchteten Arkaden angetan, eine überdachte Durchgangsstraße, die offenbar für immer und ewig im Jahre 1953 stehengeblieben war. Es gab einen Friseursalon mit einer sich drehenden rotweißen Stange davor und im Laden Fotos von Leuten, die aussahen, als seien ihre Frisuren in den Fünfzigern gestylt worden. Und ein Scherzartikelgeschäft bot nützliche, interessante Gegenstände feil, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte: Niespulver, Plastikkotze (sehr praktisch, um sich im Zug seinen Platz freizuhalten) und Kaugummi, das die Zähne schwarz färbt. Es war zu, aber ich beschloß, am nächsten Morgen zurückzukommen, um mich mit Vorräten einzudecken.
    Inverness hat vor allem einen schönen, grün und gemächlich dahinfließenden Fluß, der romantisch mit Bäumen überhangen, am einen Ufer von großen Häusern, gepflegten, kleinen Parks und der alten Sandsteinburg (nun dem Sitz des Bezirksgerichts) gesäumt ist und am anderen von alten Hotels mit steilen Satteldächern, noch mehr großen Häusern und der gravitätischen, Nôtre-Dame-ähnlichen Kathedrale. Ich buchte ein Zimmer im nächstbesten Hotel und unternahm gleich darauf einen Spaziergang durch das schwächer werdende Dämmerlicht. Die eleganten Promenaden entlang des Flusses waren aufmerksam mit Bänken bestückt, sehr nett bei einem abendlichen Bummel. Ich lief ein, zwei Meilen auf der Seite des Flusses an der Haugh Road an kleinen Inseln vorbei, die man über viktorianische Fußgängerhänge-brücken erreichte.
    Fast alle großen Villen auf beiden Seiten des Flusses waren in einem Zeitalter erbaut, in dem man noch dienstbare Geister hatte. Wie, überlegte ich, war all dieser spätviktorianische Wohlstand nach Inverness gelangt, und wer unterhielt diese hübschen Ungetüme heute? Unweit der Burg, auf einem riesigen Grundstück, das Bauherrn wohl als erstklassige Lage bezeichnet hätten, stand ein besonders großes, reich verziertes Herrenhaus mit Türmen und Erkern. Ein wunderbares, weitläufiges Ding, eins, bei dem ich mir immer gleich vorstelle, daß ich mit dem Fahrrad darin herumfahren könnte. Es war mit Brettern verschlagen, baufällig und stand zum Verkauf. Wie kann man bloß, fragte ich mich, ein solch reizendes Haus so verfallen lassen? Als ich daran entlangspazierte, verlor ich mich in Tagträumereien, es für ein Spottgeld zu kaufen, zu sanieren und glücklich bis an mein Lebensende auf diesem hochherrschaftlichen Anwesen neben dem absolut bezaubernden Fluß zu leben, bis mir einfiel, was meine Familie wohl sagen würde, wenn wir doch nicht ins Land der Einkaufszentren, Fernseher mit hundert Programmen und der kindskopfgroßen Hamburger gingen, sondern in den feuchten Norden Schottlands.
    Egal, denn leider muß ich gestehen, daß ich sowieso nicht in Inverness wohnen könnte, und zwar wegen zweier sensationell häßlicher moderner Bürogebäude an der Hauptbrücke, die das Stadtzentrum rettungslos verschan-deln. Als ich auf dem Rückweg darauf stieß, blieb ich wie angewurzelt stehen und staunte, daß man eine ganze Stadt mit zwei seelenlosen Gebäuden ruinieren kann. Nichts – weder Umfang noch Materialien noch der Stil – paßte zu der Umgebung. Sie waren nicht nur häßlich und groß, sondern so schlecht konstruiert, daß man tatsächlich zweimal um sie herumlaufen konnte, ohne je den Haupt-eingang zu finden. An der Straßenfront des größeren zum Flußufer hin befand

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