Reif für die Insel
erstreckte sich über viele Räume, und die Werke fielen in vier Kategorien. Erstens: Boote an Stränden, zweitens: einsame Katen, drittens: halb-bekleidete Freundinnen, die Toilette machen, und viertens: aus irgendeinem Grunde französische Straßenszenen, stets mit wenigstens einer Ladenfassade, auf der BOULANGERIE oder EPICERIE stand, so daß man den Schauplatz unmöglich mit Fraserburgh oder Arbroath verwechseln konnte.
Viele Bilder – ja, die meisten – waren außergewöhnlich gut, und als ich sah, daß an einigen rote Kreise klebten, merkte ich nicht nur, daß sie zum Verkauf standen, sondern verspürte auch plötzlich das seltsame Verlangen, selbst eines zu erstehen. Also begann ich, Ausflüge zu der Dame am Eingang zu machen und zu fragen: »Entschuldigung, wieviel kostet Nummer 125?« Woraufhin sie nachschaute und eine Zahl nannte, die mehrere hundert Pfund über dem lag, was ich auszugeben bereit war. Dann dackelte ich wieder los, kam nach einem Weilchen zurück und fragte: »Entschuldigen Sie, wieviel kostet Nummer 74?« Einmal sah ich ein Bild, das mir gesonders gut gefiel – ein Gemälde vom Solway Firth von einem Burschen namens Colin Park –, und die Dame schaute nach und sagte, es koste 125 Pfund. Das war ein anständiger Preis, und ich wollte es schon selbst auf die Gefahr hin kaufen, daß ich es bis John O’Groats unterm Arm hätte tragen müssen, da entdeckte sie, daß sie in der falschen Zeile nachgesehen hatte. Das Bild für 125 Pfund war ein kleines Ding von etwa 7,5 x 7,5 Zentimetern, und der Colin Park kostete erheblich mehr. Ich zog also wieder ab. Als meine Beine allmählich müde wurden, versuchte ich es anders herum und fragte sie, was sie für 50 Pfund oder weniger habe. Sie hatte nichts, und ich ging um eine Hoffnung ärmer, aber, was den Katalog betraf, um 2 Pfund reicher meiner Wege.
Dann besuchte ich die Scottish National Gallery, die mir sogar noch besser gefiel, nicht nur, weil sie gratis war. Sie versteckt sich hinter der Royal Scottish Academy und macht von außen nicht viel her. Aber innen ist sie in einem imperialen, neunzehnten Jahrhundert-Stil gehalten und sehr edel – mit roten Frieswänden, überdimensionalen Bildern in pompösen Rahmen, hier und dort Statuen von nackten Nymphen und vergoldeten Möbeln, die einen an Königin Victorias Boudoir erinnern. Die Gemälde waren nicht nur hervorragend, sondern hatten auch Schilder, die über den historischen Hintergrund informierten und darüber, was die dargestellten Leute machten, was ich für höchst empfehlenswert halte. Es sollte überall obligatorisch sein.
Dankbar las ich die lehrreichen Bemerkungen und freute mich, zum Beispiel zu erfahren, daß Rembrandt auf seinem Selbstporträt deshalb so mißmutig aussieht, weil er gerade für bankrott erklärt wurde. Doch in einem der Räume fiel mir ein Mann in Begleitung eines etwa dreizehnjährigen Jungen auf, der keine Schilder brauchte.
Die beiden entstammten dem, was die Queen Mother wahrscheinlich als niedere Stände bezeichnet. Alles an ihnen verriet Armut und materiellen Mangel – schlechtes Essen, schlechter Lohn, schlechte Zähne, schlechte Aussichten, sogar schlecht gewaschene Wäsche –, aber der Mann beschrieb die Bilder mit wahrhaft herzerwärmender Liebe und Vertrautheit, und der Juhge lauschte jedem seiner Worte mit gespannter Aufmerk-samkeit. »Siehst du, das hier ist ein später Goya«, sagte der Mann leise. »Schau dir bloß an, wie beherrscht der Pinselstrich ist – im Vergleich zu seinen vorherigen Arbeiten ein kompletter Stilwechsel. Weißt du noch, wie ich dir mal erzählt habe, daß Goya bis fünfzig kein einziges großes Bild gemalt hat? Aber das Bild hier ist großartig.« Verstehen Sie, er gab nicht an; er teilte!
Das hat mich in Großbritannien oft beeindruckt und mir Rätsel aufgegeben – wie gebildet Leute von unter-privilegierter Herkunft oft sind. Wie Leute, von denen ich es nie gedacht hätte, mir einen Pflanzennamen in Latein sagen oder sich als Experten in der Politik des alten Thrakien entpuppen. In diesem Land wird das große Finale einer Sendung wie Mastermind immerhin nicht selten von Taxifahrern oder Lokomotivführern gewonnen. Ich kann mich nie entscheiden, ob ich das zutiefst beeindruckend finde oder einfach nur schrecklich – ob das ein Land ist, in dem sogar Lokomotivführer etwas über Tintoretto und Leibniz wissen, oder ein Land, in dem Leute, die etwas über Tintoretto und Leibniz wissen, als Lokomotivführer enden. Ich
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