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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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weiß nur, es kommt hier häufiger vor als anderswo.
    Nach der Nationalgalerie kletterte ich den steilen Abhang zu der Burganlage hoch, die mir seltsam, beinahe gespenstisch vertraut vorkam. Ich war nie dort gewesen, wußte also absolut nicht, warum. Aber dann fiel mir ein, daß eine der Episoden von This Is Cinerama in Bradford ein Zapfenstreich auf der Burg von Edinburgh gewesen war. Die Burganlagen sahen genauso aus wie in dem Film, nur war jetzt das Wetter anders, und Gott sei Dank paradierten keine Gordon Highlanders einher. Eins hatte sich seit 1951 allerdings auch mächtig verändert – der Blick von der Terrasse auf die Princes Street.
    1951 war die Princes Street immer noch eine der eindrucksvollsten Straßen der Welt, eine elegante Hauptverkehrsader, an der nördlichen Seite von imposanten viktorianischen und edwardianischen Bauten gesäumt, die von Größe und Selbstbewußtsein und einem Weltreich zeugten – der North British Mercantile Insurance Company, dem prächtigen, klassizistischen Gebäude des New Club, dem alten Waverley Hotel. Und dann wurden sie aus unerfindlichen Gründen eines nach dem anderen abgerissen und großteils von grauen Betonbunkern ersetzt. Am östlichen Ende der Straße wurde der gesamte St. James’ Square, eine Grünfläche, die von Unmengen Mietshäusern aus dem achtzehnten Jahrhundert umgeben war, plattgemacht, um einem der klotzigsten, häßlichsten Laden-Hotel-Komplexe, der je dem Reißbrett eines Architekten entsprungen ist, zu weichen. Nun sind von der einstmals stolzen Pracht der Princes Street nur noch einzelne Exemplare wie das Balmoral Hotel und das Scott-Denkmal und ein Teil der Fassade von Jenners Department Store übrig.
    Als ich wieder zu Hause war, fand ich in meinem AA Book of British Towns die Illustration eines Malers, die das Herz Edinburghs aus der Vogelperspektive zeigt. Da war die Princes Street von einem Ende zum anderen nur von feinen, alten Häusern gesäumt. Und genauso war der Künstler mit den Abbildungen anderer britischer Städte verfahren – Norwich und Oxford und Canterbury und Stratford. Also, das gehört sich doch einfach nicht! Man kann doch keine feinen, alten Bauten abreißen und dann so tun, als seien sie noch da. Aber das ist typisch für Großbritannien in den letzten dreißig Jahren, und nicht nur für Gebäude.
    In reichlich mieser Stimmung begab ich mich auf die Suche nach was Vernünftigem zu essen.
     
     

Sechsundzwanzigstes Kapitel
     
    Reden wir über was Erfreulicheres. Reden wir über John Fallows. Der stand 1987 eines Tages am Schalter einer Londoner Bank und wartete, daß er bedient wurde. Da trat der Möchtegern-Bankräuber Douglas Bath vor ihn, schwenkte ein Gewehr und verlangte Geld von dem Kassierer. Stinkwütend sagte Fallows, er solle sich ans Ende der Schlange »verpissen« und warten, bis er dran sei. Vermutlich nickten die anderen Wartenden zustimmend. Auf diesen Verlauf der Ereignisse nicht vorbereitet, verließ Bath die Bank lammfromm und mit leeren Händen und wurde unweit davon verhaftet.
    Ich erzähle das, um meine Behauptung zu untermauern, daß, wenn eine wertvolle Eigenschaft die Briten charakterisiert, dann das angeborene Gefühl für gute Manieren und daß man sie unter Einsatz seines Lebens verteidigt. Achtung für und stillschweigende Rücksicht-nahme auf andere sind solch fundamentale Bestandteile des britischen Lebens, daß kaum ein Gespräch ohne beginnt. Begegnungen mit Fremden werden gewöhnlich mit den Worten eingeleitet: »Es tut mir furchtbar leid, aber.« Dann folgt irgendeine Bitte: »Können Sie mir sagen, wo es nach Brighton geht? … mir helfen, meine Hemdgröße herauszufinden? … Ihren Überseekoffer von meinen Füßen nehmen?« Und wenn Sie der Bitte nachgekommen sind, schenken sie Ihnen stets ein schüchternes, entschuldigendes Lächeln, sagen wieder, daß es ihnen leid tut, und bitten um Verzeihung dafür, daß sie Ihre Zeit in Anspruch genommen oder gedankenlos ihren Fuß dort hingestellt haben, wo ja ganz offensichtlich Ihr Überseekoffer stehen mußte. Ich liebe es.
    Den lebendigen Beweis für meine Argumentation lieferte eine Frau, die vor mir stand, als ich am späten Vormittag aus dem Caledonian auscheckte. Mit hilflosem Blick sagte sie zu dem Empfangsmenschen: »Es tut mir furchtbar leid, aber ich schaffe es anscheinend nicht, den Fernseher in meinem Zimmer anzustellen.« Wohlgemerkt, sie war den ganzen Weg nach unten gekommen, um sich zu entschuldigen, weil der Fernseher des

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