Reif für die Insel
Salz- und Pfefferstreuer zutage. Ist es nicht erstaunlich? Man gibt einem Paar alter Leute eine Leinenreisetasche, ein paar Tupperbehälter und eine Thermosflasche, und sie amüsieren sich stundenlang damit. Diese hier werkelten mit wohlgeordneter Präzision und in völligem Schweigen vor sich hin, als hätten sie sich seit Jahren auf dieses Ereignis vorbereitet. Als all das Essen nett zurechtgelegt war, aßen sie vier Minuten lang wie die Spätzchen und verbrachten einen Großteil des restlichen Morgens damit, leise alles wieder wegzupacken. Sie sahen sehr glücklich aus.
Auf komische, aber herzerwärmende Weise erinnerten sie mich an meine Mutter, denn auch sie ist Tuppertopf-Anhängerin. Sie picknickt nicht in der Bahn, weil es in ihrem Teil des Landes keine Personenzüge mehr gibt, aber sie legt gern herrenlose Essensreste in Plastikbehälter verschiedener Größe und verstaut sie ordentlich im Kühlschrank. Mit Müttern ist das ohnehin so ein Ding, glaube ich. Kaum hat man das Haus verlassen, schmeißen sie fröhlich alles weg, was man in seiner Kindheit und Jugend gehegt und gepflegt hat – die kostbare Sammlung Baseballkarten, die vollständigen Playboy-Jahrgänge 1966 – 75 , die Highschool-Jahrbücher –, aber gibt man ihnen einen halben Pfirsich oder einen Löffel übriggebliebene Erbsen, packen sie sie in eine Tupperschüssel hinten in den Kühlschrank und hüten sie dort mehr oder weniger für immer.
Wir ratterten durch eine immer einsamere, kargere, baumlose, kalte Landschaft, die Heide klammerte sich an die Berghänge wie Flechte an Felsen, und die wenigen Schafe liefen erschrocken weg, wenn der Zug vorbeikam. Ab und zu fuhren wir durch gewundene Täler mit vereinzelten Bauernhöfen, die von weitem romantisch und hübsch und von nahem trostlos und ungemütlich aussahen. Es waren meist kleine Häuser mit massenweise Blech überall – Blechschuppen, Blechhühnerställen, Blechzäunen –, und sie sahen baufällig und verwittert aus. Es war eine dieser schrägen Gegenden, wo nichts weggeworfen wird. Jeder Hof war zugemüllt mit Bergen von ausrangiertem Zeugs, als glaube der Besitzer, daß er eines Tages 132 halbverrottete Zaunpfähle, eine Tonne kaputte Backsteine und die Karosserie eines 64er-Ford-Zodiac brauche.
Zwei Stunden nach unserer Abfahrt von Inverness kamen wir in einen Ort namens Golspie. Eine gar nicht so kleine Stadt mit großen Sozialbausiedlungen und ganzen Straßenzügen mit solch grauen Kieselrauhputzbungalows, die anscheinend öffentlichen Toiletten nachempfunden sind und für die man in Schottland eine seltsame Zuneigung hegt. Keine Spur von Fabriken oder sonstigen Arbeitsstätten. Womit, überlegte ich, verdienen all die Menschen in all den Häusern in Golspie ihre Brötchen? Dann kam Brora, auch keine kleine Gemeinde, mit Strandpromenade, aber ohne Hafen, soweit ich sehen konnte. Und ohne Fabriken. Was arbeiten sie bloß in diesen Kaffs inmitten des Nichts?
Danach wurde die Landschaft ziemlich öde, Bauernhäuser oder Weidetiere gab’s nicht mehr. Es schien so, als führen wir eine Ewigkeit durch eine große schottische Leere, durch meilenweites Niemandsland. Auf halber Strecke kamen wir dann zu einem Ort namens Forsinard: zwei Häuser, ein Bahnhof und ein unerklärlich großes Hotel. Was für eine seltsame, abgeschiedene Welt es war. Und dann endlich, endlich waren wir in Thurso, der nördlichsten Stadt auf der britischen Hauptinsel, hier war Schluß, in jeder Hinsicht. Auf leicht wackeligen Beinen trat ich aus dem kleinen Bahnhof und begab mich auf der langen Hauptstraße ins Zentrum.
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, aber meine anfanglichen Eindrücke stimmten mich hoffnungsfroh. Offenbar eine saubere, ordentliche Stadt, eher behaglich als protzig, erheblich größer, als ich erwartet hatte, und mit mehreren kleinen Hotels. Ich nahm ein Zimmer im Pentland Hotel, ein durchaus nettes Haus, wenn man sich in der Grabesstille am Ende der Welt wohlfühlt. Ein sympathischer Empfangsmensch händigte mir den Schlüssel aus, ich verfrachtete meine Sachen in ein abgelegenes Zimmer, das ich über gespenstisch gewundene Flure erreichte, und machte mich dann an die Stadtbesichtigung.
Laut Stadtarchiv hatte Thurso seinen großen Tag 1834, als Sir John Sinclair, ein Lokalmatador, hier den Begriff »Statistik« prägte, aber seitdem ist es doch erheblich ruhiger geworden. Wenn er nicht Neologismen ausheckte, baute Sinclair die Stadt fleißig um, stattete sie mit einer
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