Reif für die Insel
prächtigen Bibliothek in einem nicht zu überladenen Stil und mit einem kleinen Platz samt Park in der Mitte aus. Um den Platz herum steht heute ein bescheidenes Viertel mit nützlichen, freundlichen Lädchen – Drogerie und Fleischerei, Weinhandlung, ein, zwei Damenboutiquen, etliche Banken, jede Menge Friseursalons (warum sind in abgelegenen Nestern immer so viele Friseursalons?). Es gab ein kleines altmodisches Woolworth’s, aber von diesem und den Banken abgesehen, schien fast alles in lokalem Besitz, was Thurso eine heimelige Atmosphäre verlieh, die Atmosphäre einer echten, eigenständigen Kommune. Es gefiel mir sehr.
Ich bummelte ein wenig durch die Einkaufsstraßen und folgte dann ein paar Nebenstraßen zum Hafenviertel, wo ein Fischlagerhaus einsam und allein auf einem unendlich großen, leeren Parkplatz an einem riesigen, leeren Strand stand, an den die Wellen krachten. Wie üblich am Meer blies einen ein frisches, kräftiges Lüftchen ordentlich durch, und die Welt war in ein ätherisches nördliches Licht getaucht, das dem Wasser eine seltsame Leuchtkraft, ja, allem einen merkwürdigen blaßbläulichen Schimmer verlieh, was mein Gefühl, weit weg von zu Hause zu sein, noch verstärkte.
Am anderen Ende des Strands stand ein Geisterturm, ein Stück alte Burg, und ich marschierte los, um nachzuforschen. Zwischen mir und meinem Ziel floß ein felsiger Bach, deshalb mußte ich zu einer Fußgängerbrücke in einiger Entfernung vom Strand zurück und mir dann über einen matschigen, großzügig mit Abfall bestreuten Pfad einen Weg suchen. Der Burgturm war verfallen, die unteren Fenster und Türöffnungen waren zugemauert. Ein Schild daneben teilte mir mit, daß der Küstenpfad geschlossen, weil teilweise abgetragen war. Lange blieb ich auf dieser kleinen Landzunge stehen und starrte aufs Meer, dann drehte ich mich zur Stadt um und überlegte, was ich tun sollte.
Denn für die nächsten drei Tage sollte Thurso mein Zuhause sein, und ich wußte nicht so recht, wie ich eine so lange, leere Zeit ausfüllen sollte. Zwischen einem Schnaufer Seeluft und dem Gefühl, vollständig abgeschnitten zu sein, beschlich mich leise Panik. Ich war am Ende der Welt, es gab niemanden zum Reden und die aufregendste Unterhaltung bot ein alter zugemauerter Turm. Ich wanderte auf demselben Weg zurück in die Stadt und machte in Ermangelung einer Alternative noch einmal einen Schaufensterbummel. Und dann passierte es vor einem Gemüsegeschäft – ach, auf einer langen Reise weit weg von zu Hause passiert es mir immer. Und stets sehe ich dem Moment mit Grausen entgegen.
Ich begann, mir unbeantwortbare Fragen zu stellen!
Lange, einsame Reisen wirken sich nämlich sehr verschieden auf die Gemüter aus. Es hat ja auch etwas Abnormes, sich ohne besonderen Grund und mit unterbeschäftigtem Hirn an einem fremden Ort aufzuhalten. Da wird man schließlich ein bißchen verrückt im Kopf. Ich habe es oft bei anderen erlebt. Manche so mutterseelenallein Reisende fangen an, mit sich selbst zu reden. Sie murmeln vor sich hin und meinen, es hört keiner. Andere suchen verzweifelt die Gesellschaft Wildfremder, fangen an Ladentheken und Hotelrezeptionen mit Smalltalk an und lungern verdächtig lange dort herum, bevor sie sich dann endlich trollen.
Wieder andere werden zu gierigen, zwanghaften Besichtigern und rennen bei ihrem einsamen Streben, alles zu sehen, mit ihrem Reiseführer in der Hand von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Ich kriege eine Art Fragedurchfall. Ich stelle mir insgeheim und ganz für mich Fragen – Dutzende und Aberdutzende –, auf die ich aber keine Antwort weiß. Und als ich jetzt so vor dem Obst- und Gemüsegeschäft in Thurso stand, mit geschürzten Lippen und mehr oder weniger leerem Kopf in sein dunkles Inneres schaute und völlig unvermittelt dachte: »Warum heißt es Mandarine?«, wußte ich, es hatte begonnen.
Verglichen mit anderen Fragen ist die nicht schlecht. Ich meine, warum heißt es Mandarine? Ich weiß nicht, wie Sie reagieren würden, aber wenn mir jemand eine unbekannte orangerote Frucht unter die Nase hielte, die etwas kleiner als ein Tennisball wäre und süß schmeckte, würde ich, glaube ich, nicht denken: Ach, wißt ihr, sie erinnert mich wahrhaftig an einen Mandarin.
Das Problem ist, wenn die Fragerei einmal angefangen hat, gibt’s kein Halten mehr. Ein paar Häuser weiter war ein Laden, der Pullover verkaufte, und ich dachte: Warum nennen die Engländer sie »Jumper«, Springer? Schon
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