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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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beobachten konnte, ohne mir den Hals verrenken oder den Stuhl verrücken zu müssen. Leuten beim Essen zuzusehen ist immer interessant, aber nichts geht über den Anblick eines Tischs mit fetten Menschen, die ihr Futter reinhauen. Komisch, selbst die raubgierigsten und gefräßigsten Dickwänste – und das Trio vor mir hätte eindeutig jede Gefräßigkeitsmeisterschaft gewonnen – sehen nie so aus, als ob es ihnen mundet. Es wirkt eher, als erfüllten sie eine uralte Pflicht, ihre Masse zu erhalten. Wenn sie Essen vor sich haben, beugen sie sich darüber und saugen es auf wie Staubsauger, und wenn nicht, sitzen sie mit verschränkten Armen da und starren verlegen in den Raum, ja, verhalten sich, als kennten sie die Leute, mit denen sie zusammensitzen, gar nicht. Rollt aber der Dessertwagen an, geht die Post ab. Sie stoßen verrückte Gurrlaute aus, und plötzlich hallt ihre kleine Ecke des Raumes von fröhlichen Gesprächen wider. Heute abend war es genauso. Meine Essensgenossen konsumierten die ihnen vorgesetzten Speisen mit einer solchen Geschwindigkeit, daß sie mich um einen halben Gang schlugen, und verleibten sich zu meinem hellen Entsetzen den letzten Eclair und das letzte Stück Schwarzwälder Kirschtorte vom Kuchenwagen ein. Und der Junge, das verfressene, fette Schwein, aß sogar von beidem zwei.
    Mir blieb nur noch die Wahl zwischen einem wäßrigen bißchen Trifle, einer Baiserkreation, von der ich wußte, sie würde wie ein Knallbonbon explodieren, sobald ich sie mit dem Löffel berührte, und einem von ungefähr einem Dutzend bescheidener Näpflein Karamelpudding, alle mit einem halbherzigen Klümpchen verkrusteter gelber Creme oben drauf. Betrübt entschied ich mich für einen Karamelpudding, und als das wohlbeleibte Trio mit schokoladeglänzendem Kinn an meinem Tisch vorbeiwatschelte, erwiderte ich ihr höfliches, sattes Lächeln mit einem stahlharten Blick, der ihnen bedeutete, so etwas bei mir nie wieder zu versuchen. Ich glaube, sie kapierten. Beim Frühstück am nächsten Morgen nahmen sie einen Tisch weit außerhalb meines Blickfeldes und schlugen am Saftwagen einen weiten Bogen um mich.
     
    Bournemouth ist in vielerlei Hinsicht eine sehr schöne Stadt. Zum einen liegt sie am Meer, was sehr praktisch ist, zum anderen gibt es die gewundenen Parks, allgemein bekannt unter dem Namen Pleasure Gardens. Sie teilen das Stadtzentrum hübsch säuberlich in zwei Hälften und bieten den Einkaufenden eine ruhige Oase, in der sie sich auf ihrem langen Marsch vom einen Teil des Zentrums ins andere ausruhen können – wenn die Parks nicht wären, gäbe es natürlich auch nicht so einen langen Fußmarsch. C’est la vie.
    Auf den alten Stadtplänen heißen die Parks Upper Pleasure Gardens und Lower Pleasure Gardens, aber ein Ratsherr oder eine andere ums Gemeinwohl besorgte Institution erkannte die moralisch zutiefst bedenklichen Implikationen, wenn man die Worte »Lower« und »Pleasure« in solch unmittelbare Nähe zueinandersetzt, und plädierte erfolgreich dafür, daß Lower aus dem Namen entfernt wurde. Nun gibt es also bloß noch Upper Pleasure Gardens und Pleasure Gardens, und Wortperverse sind an den Strand verbannt, wo sie ihrer Lust frönen können, indem sie sich an den Buhnen statt an Busen rubbeln. So ist Bournemouth – piekfein und stolz darauf.
    Im vollen Bewußtsein des sorgsam genährten Rufs dieser piekfeinen Stadt zog ich 1977 mit der Vorstellung dorthin, daß es die englische Antwort auf Bad Ems oder Baden-Baden sei – manikürte Parks, Palmenhöfe mit Orchestern, protzige Hotels, wo Herren in weißen Handschuhen das Messing polieren und vollbusige ältere Damen im Nerz kleine Hunde Gassi führen, denen man immer unbedingt einen Tritt versetzen möchte. (Damit sie mich richtig verstehen, nicht aus Grausamkeit, sondern einfach aus dem ehrlich empfundenen Wunsch heraus, zu sehen, wie weit sie fliegen). Bedauerlicherweise muß ich mitteilen, daß ich so gut wie nichts davon antraf. Die Parks waren sehr schön, aber statt mit feudalen Casinos und schönen Kursälen warteten sie mit einem kleinen Musikpavillon auf, der an Sonntagen gelegentlich von einer Blaskapelle schwankender Qualität in Bus-schaffneruniformen benutzt wurde. Ferner gab es kleine hölzerne Ständer – wenn Sie das Wort im Kontext der Lower Pleasure Gardens entschuldigen wollen –, die mit Kerzen in bunten Glastöpfen geschmückt waren und, wie man mir glaubhaft versicherte, an ruhigen Sommerabenden manchmal angezündet

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