Reif für die Insel
Backsteinbürogebäude wurden errichtet sowie stattliche Villen mit kunstvollen Ecktürmen und anderen virtuosen Verzierungen, die nun eigentlich nur noch Busreisende und Fensterputzer zu Gesicht bekommen.
Eine Schande, daß kaum noch etwas von dieser viktorianischen Pracht Bodennähe erreicht. Wenn man andererseits alle großen Schaufenster herausnehmen und die Erdgeschosse der Gebäude so herrichten würde, daß sie aussehen, als gehörten sie zu den Stockwerken darüber, könnte man nicht mehr mitten in jedes Sketchley’s und Boots hineinschauen, und das wäre doch ein trauriger Verlust. Stellen Sie sich nur vor, sie fahren an Sketchley’s vorbei und könnten nicht die ganzen Stangen mit den Kleidern in Plastikhüllen und das Sortiment ramponierter
Teppichreinigungsmaschinen und eine Dame an der Theke sehen, die in aller Muße mit einer Büroklammer in ihren Zähnen stochert. Wie langweilig wäre dann das Leben. Also, wirklich, gar nicht auszudenken.
Ich fuhr mit dem Bus bis zur Endstation und gelangte durch ein Gewirr von Fußgängerüberwegen zu der Straße zum Highcliffe. Ungefähr siebenhundert Meter weiter stand in einer kleinen Seitenstraße Highcliffe Castle, einstmals das Heim Gordon Selfridges, des Kaufhausmagnaten, und nun eine Ruine.
Selfridge war ein interessanter Bursche, der uns allen eine heilsame moralische Lektion erteilen kann. Er war Amerikaner und widmete seine produktiven Jahre dem Aufbau von Selfridges, Europas feinstem Kaufhaus. Ganz nebenbei verwandelte er die Oxford Street in Londons Hauptgeschäftsstraße. Er führte ein strenges, rechtschaf-fenes Leben, ging früh zu Bett und schuftete unermüdlich. Er trank auch viel Milch und betrog seine Frau nie. Als sie aber 1918 starb, stieg ihm die plötzliche Befreiung vom Ehejoch zu Kopf. Er bandelte mit zwei flotten ungarisch-amerikanischen Bienen an, in Music-Hall-Kreisen als die Dolly Sisters bekannt, und begann ein Lotterleben. Mit einer Dolly an jedem Arm machte er Europas Casinos unsicher. Spielte und verlor im großen Stil. Er ging jeden Abend fein essen, investierte idiotische Summen in Rennpferde und Automobile, kaufte Highcliffe Castle und wollte eine 250-Zimmer-Residenz am Hengistbury Head in der Nähe errichten. In zehn Jahren brachte er acht Millionen Dollar durch, verlor seine Firma, sein Schloß und sein Londoner Heim, seine Rennpferde und seinen Rolls-Royce und lebte schließlich allein in einer kleinen Wohnung in Putney und fuhr mit dem Bus. Bettelarm und buchstäblich vergessen, starb er am 8. Mai 1947. Aber er hatte natürlich das gar nicht hoch genug einzuschätzende Vergnügen gehabt, Zwillingsschwestern zu bumsen, und das ist die Hauptsache.
Heute ist das imposante gotische Gemäuer von Highcliffe Castle von Bungalows umzingelt, was abartig aussieht. Hinter dem Haus erstreckt sich das Anwesen über einen öffentlichen Parkplatz bis zum Meer hinunter. Ich hätte gern erfahren, wieso das Haus nun so furchtbar verwahrlost war, doch auf der düsteren Anhöhe war niemand zu sehen, und auf dem Parkplatz standen auch keine Autos. Über ein paar wacklige Holztreppen ging ich hinunter zum Strand. In der Nacht hatte es aufgehört zu regnen, aber es sah so aus, als wolle es gleich wieder anfangen. Es wehte schon eine steife Brise, die mein Haar und meine Klamotten flattern ließ und die See schaumig rührte. Außer den sich brechenden Wellen war nichts zu hören. Ich stemmte mich gegen den Wind und stapfte am Strand entlang, als wollte ich ein Auto auf dem Buckel hügelaufwärts tragen. Dann kam ich an einem großen Halbkreis aus Strandhütten vorbei, immer ein und dasselbe Modell, aber in verschieden bunten Farbtönen gestrichen. Die meisten waren für den Winter geschlossen, aber auf ungefähr drei Vierteln des Weges stand eins offen; es sah wie ein Zauberkasten aus. Auf einer kleinen Veranda saßen ein Mann und eine Frau in Gartenstühlen, wie für die Antarktis eingemummelt, mit Decken auf dem Schoß und von Windstößen durchgerüttelt, die sie in einem fort umzukippen drohten. Der Mann versuchte eine Zeitung zu lesen, aber der Wind wickelte sie ihm immer ums Gesicht.
Sie sahen beide sehr glücklich aus – oder wenn vielleicht nicht glücklich, so doch höchst zufrieden. Als tränken sie Gin-Fizz unter Palmen auf den Seychellen, statt halb erfroren in einem steifen englischen Sturm zu sitzen. Sie waren zufrieden, weil sie ein kleines Stück wertvollen Strandes besaßen, für das es sicher eine lange Warteliste gab, und
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