Reif für die Insel
Personal zu wenden und mit seltsam weinerlicher Stimme zu fragen, ob das Krankenhaus 1980 geschlossen werde. Laut seiner umfangreichen ärztlichen Unterlagen war er von dieser Frage besessen, seit er 1950 als junger Mann eingewiesen worden war. Dabei war Holloway ein großes, wichtiges Sanatorium, und es gab nie Pläne, es zu schließen. Bis zu einer Sturmnacht Anfang 1980, als Harry ganz untypisch erregt ins Bett gebracht wurde – er hatte seine Frage nun schon seit Wochen mit immer stärkerer Eindringlichkeit gestellt –, ein Blitz in einen der hinteren Giebel einschlug, ein verheerendes Feuer verursachte, das sich über den Speicher und etliche Stationen ausbreitete, und das gesamte Gebäude von heute auf morgen unbewohnbar wurde.
Die Geschichte wäre noch besser, wenn der arme Harry, an sein Bett gefesselt, in der Feuersbrunst umgekommen wäre. Leider (nur weil die Geschichte so nicht halb so dramatisch ist) wurden alle Patienten sicher in die stürmische Nacht evakuiert, aber ich stelle mir immer gern vor, daß Harry mit verzücktem Lächeln auf den Lippen und Decke um die Schultern auf dem Rasen stand, das Gesicht von den tanzenden Flammen erleuchtet, und die Feuersbrunst beobachtete, die er dreißig Jahre lang so geduldig erwartet hatte.
Die Insassen wurden in den besonderen Trakt eines allgemeinen Krankenhauses nicht weit von Holloway, in Chertsey, gebracht, wo sie wegen ihrer unseligen Neigung, in den Stationen Chaos zu stiften und die geistig Gesunden zu ängstigen, schnell ihrer Freiheit beraubt wurden. Das Sanatorium moderte von da an still vor sich hin, die Fenster wurden mit Brettern verschlagen oder zerbrochen, und der noble Eingang von der Stroude Road wurde mit einem massiven Metalltor mit messerscharfem Stacheldraht obendrauf versperrt. Als ich Anfang der achtziger Jahre in London arbeitete, habe ich fünf Jahre in Virginia Water gewohnt und ab und zu angehalten, um einen Blick über die Mauer auf die verwahrlosten Parkanlagen und die trostlosen Ruinen zu werfen. Etliche Baufirmen wollten dort einen Büropark, ein Konferenzzentrum beziehungsweise eine Siedlung für Führungskräfte errichten. Sie stellten ein paar Container und Schilder hin, die einen strengstens vor den Hunden warnten, die diese Baustelle bewachten, aber nichts geschah. Länger als ein Jahrzehnt stand dieses feine alte Sanatorium, vermutlich eines der zwölf schönsten, noch existierenden viktorianischen Gebäude, einfach nur einsam und verlassen da und zerfiel. Ich erwartete also nun, daß sich nichts Wesentliches geändert hatte, und probte schon eine servile Bitte an den Wächter, damit er mich die Einfahrt hinauflaufen ließ und ich es schnell einmal anschauen konnte. Von der Straße aus konnte man nämlich von dem Gebäude selbst nicht viel sehen.
Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich eine sanfte Böschung erklomm und ein in die Umfassungsmauer geschlagenes neues Eingangstor erblickte sowie ein großes Schild, das mich in Virginia Park willkommen hieß, und – ein völlig neuer Anblick – zu beiden Seiten des Sanatoriumgebäudes eine stattliche Anzahl schicker neuer Luxusheime.
Mit aufgerissenem Mund stolperte ich eine frisch-asphaltierte Straße entlang, an der die Häuser so neu waren, daß an den Fenstern noch die Aufkleber pappten und die Vorgärten Schlammseen waren. Eins der Häuser hatte man als Musterhaus hergerichtet, und da Sonntag war, schauten es sich viele Leute an. Im Inneren fand ich eine Hochglanzbroschüre mit Architektenzeichnungen von glücklichen, schlanken, durch hübsche Heime schlendernden Menschen. Andere lauschten in dem Zimmer, in dem ich früher in Gesellschaft zuckender Irrer Filme angeschaut hatte, einem Kammerorchester oder schwammen in einem Schwimmbad, das in den Boden der großen gotischen Halle eingelassen war, in der ich einmal Badminton gespielt und stammelnd eine junge Krankenschwester von der Station »Florence Nightingale« um ein Rendezvous gebeten hatte. Laut des ziemlich aufwendigen Begleittextes konnten die Bewohner von Virginia Park zwischen mehreren Dutzend freistehender Häuser für den gehobenen Bedarf wählen, etlichen Reihenhäusern und Etagenwohnungen oder einem von dreiundzwanzig nobler Apartments, in die man das restaurierte Sanatorium umgemodelt hatte, das nun mysteriöserweise Crosland House hieß. Der Plan der Anlage war übersät mit komischen Namen – Connolly Mews, Chapel Square, The Piazza –, die wenig mit deren früherer Existenz zu tun hatten.
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