Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
waren noch mehr niedrige Mauern, eine ganze Reihe beidseitig eines Ganges, dessen Fliesen unter einem Teppich nasser Blätter lagen, und ich wußte, ich war in der Villa. In einem der Zimmerreste war der Boden sorgfaltig mit Düngerplastikbeuteln abgedeckt, die an den Ecken mit Steinen beschwert waren. Deshalb war ich hergekommen, was darunter lag, wollte ich sehen. Ein Freund hatte mir davon erzählt, aber ich hatte es nie so richtig geglaubt. Unter den Tüten war praktisch ein komplettes, etwa einsfünfzig mal einsfünfzig großes römisches Mosaik mit einem erlesenen Muster und bis auf ein paar brüchige Ränder makellos erhalten. Es ist schon komisch in einem einsamen Wald in einem Haus zu stehen, das einmal vor unvorstellbar langer Zeit einer römischen Familie gehörte, und ein Mosaik anzuschauen, das vor mindestens 1600 Jahren gelegt worden war, als das hier ein offener, sonniger Platz und dieser uralte Wald darum herum noch gar nicht gewachsen war. Es ist eine Sache, so etwas im Museum zu sehen, aber eine ganz andere, an der Stelle darauf zu stoßen, an der es entstanden ist. Ich habe keine Ahnung, warum das Mosaik nicht ins Corinium Museum gebracht worden ist. Ein schreckliches Versehen, vermute ich, aber ich bin überaus dankbar, daß ich die Gelegenheit hatte, es zu betrachten. Ich blieb lange auf einem Stein sitzen, wie festgenagelt vor Staunen und Bewunderung. Ich weiß nicht, was mich mehr ergriff, der Gedanke, daß auf diesem Boden einmal Menschen in Togen gestanden und ganz normal auf lateinisch miteinander geschwatzt hatten, oder daß es noch hier war, makellos und unberührt inmitten dieses dichten Gestrüpps.
    Es klingt vielleicht schrecklich naiv, aber mir dämmerte zum erstenmal ganz ernsthaft, daß all die römischen Funde, die ich über die Jahre angeschaut hatte, nicht mit der Absicht erschaffen wurden, daß sie eines Tages in einem Museum landeten. Weil das Mosaik noch an seinem ursprünglichen Ort, nicht durch ein Seil abgetrennt und auch nicht in ein modernes Haus versetzt worden war, war es unabstreitbar ein Fußboden und nicht einfach nur ein nettes Kunstwerk. Es war zum Daraufherumlaufen da, zum Benutzen, und ohne jeden Zweifel waren römische Sandalen darüber geschlurft. Es schlug mich so seltsam in seinen Bann, daß ich ganz still vor mich hin staunte.
    Nach langer Zeit stand ich auf, legte die Düngertüten sorgfaltig wieder an ihren Platz und beschwerte sie mit den Steinen. Dann nahm ich meinen Stock, betrachtete mein Werk, ob auch alles in Ordnung war, drehte mich um und begann langsam und allmählich, an diesen seltsamen, gedankenlosen Ort, das zwanzigste Jahrhundert, zurück-zukehren.
     

Vierzehntes Kapitel
     
    Ich fuhr nach Milton Keynes, weil ich meinte, ich sollte mir auf dieser Reise zumindest eine neue Stadt anschauen. Von Oxford nach Milton Keynes zu fahren, ist nicht einfach, obwohl es nur ein Katzensprung ist. Ich hatte es als Zielort ausgewählt, weil ich nach einem schnellen Blick auf die Straßenkarte annahm, daß ich schlimmstenfalls einen Zug nach Bicester oder sonst einem Kaff nehmen und dort nach Milton Keynes umsteigen müßte. Denkste! Ich mußte ganz zurück nach London, eine U-Bahn nach Euston besteigen und von dort mit dem Zug hinfahren – alles in allem ein Trip von etwa 120 Meilen, nur um von einer Stadt in eine 30 Meilen entfernte andere zu gelangen.
    Es war teuer und zeitraubend, und am Ende war ich ziemlich stinkig, nicht zuletzt deshalb, weil der Zug von Euston sehr voll war und ich einer unentwegt nörgelnden Frau mit ihrem zehnjährigen Sohn gegenübersaß, der mir immer, wenn er mit den Füßen baumelte, gegen das Schienbein trat und mich ärgerte, indem er mich mit Schweinchenaugen anstarrte und sich dabei in der Nase bohrte und die Popel aß. Offenbar betrachtete er seine Nase als Privatimbißbude. Ich versuchte mich in ein Buch zu vertiefen, merkte aber, wie ich unwillkürlich immer wieder aufschaute. Mit selbstgefälligem Blick und fleißigem Finger schaute er mich an. Es war richtig widerwärtig, und als der Zug endlich in Milton Keynes einfuhr, freute ich mich sehr, daß ich meinen Rucksack vom Gepäckträger holen und ihm dabei über den Schädel ziehen konnte.
    Ich haßte Milton Keynes nicht sofort; zu weiteren Hoffnungen aber berechtigt die Stadt nicht. Wenn man aus dem Bahnhof auf einen großen offenen Platz tritt, der auf drei Seiten von Spiegelglasbauten gesäumt wird, bekommt man sofort ein Gefühl von Weite, das man so gut wie nie in

Weitere Kostenlose Bücher