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Reif für die Insel

Reif für die Insel

Titel: Reif für die Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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englischen Städten hat. Die Stadt selbst steht am Hang eines kleinen Hügels fast einen Kilometer entfernt, jenseits eines Geflechts von Fußgängertunneln und einer riesigen Rasen- und Asphaltfläche, die vermutlich von Backstein-bürogebäuden mit Kupferfenstern zugestellt sein wird, wenn ich mal wieder hier vorbeikomme.
    In vielerlei Hinsicht war Milton Keynes aber besser als die mir bekannten modernen Städte. Die Unterführungen waren mit poliertem Granit verblendet und weitgehend frei von Graffiti und den nie austrocknenden trüben Pfützen, die man in Basingstoke und Bracknell offenbar gleich mitentworfen hat. Faszinierend war der Stilmischmasch. Die graslosen, schattigen Mittelstreifen der Hauptboulevards gaben der Stadt ein vages französisches Aussehen. Die Leichtindustrieparks mit den Grünflächen am Stadtrand sahen deutsch aus. Das Straßennetz und die numerierten Straßennamen erinnerten an Amerika. Die Häuser waren nullachtfünfzehn, wie die an jedem internationalen Flughafen. Kurz und gut, es sah alles andere als englisch aus.
    Am komischsten war, daß es keine Geschäfte gab und kein Mensch draußen herumlief. Ich ging ein ganzes Stück durch die Stadtmitte, eine Allee hinauf, eine andere hinunter und durch die finsteren Straßen, die sie verbanden. Jeder Parkplatz war voll, und hinter den Bürofenstern gab es Zeichen von Leben, doch kaum Durchgangsverkehr und nie mehr als ein oder zwei Fußgänger auf den endlosen, breiten Straßen. Ich wußte, irgendwo verbarg sich ein riesiges Einkaufszentrum, denn ich hatte davon gelesen, aber ich konnte es ums Verrecken nicht finden. Ich fand ja nicht einmal jemanden, den ich fragen konnte. Und blöderweise sahen fast alle Häuser aus wie Einkaufszentren. Immer wieder erspähte ich potentielle Kandidaten, doch wenn ich dann hinging, um es mir genauer anzuschauen, war es nur die Hauptverwaltung einer Versicherung oder so was.
    Schlußendlich landete ich in einem Wohngebiet mit endlosen, adretten gelben Backsteineigenheimen. Es war aber immer noch kein Mensch in Sicht. Als ich dann vom Gipfel eines Hügels blaue Dachflächen etwa einen Kilometer entfernt erspähte, schloß ich messerscharf, das ist’s, und zog los. Die Fußgängerwege, die ich zuerst ganz nett gefunden hatte, wurden allmählich zum Ärgernis. Sie führten in aller Seelenruhe durch tiefe Durchstiche, und obwohl sie hübsch angelegt waren, vermittelten sie einem doch das Gefühl, daß sie es nicht eilig hatten, einen irgendwohin zu führen. Ganz offenbar waren sie von Experten geplant worden, die das Ganze für eine flotte Fingerübung am Reißbrett gehalten hatten. Die Routen verliefen umständlich und scheinbar immer ziellos, was auf Papier bestimmt gut aussah, aber nicht berücksichtigte, daß die Leute die weite Distanz zwischen den Häusern und den Läden gewiß doch auf einigermaßen direktem Wege überwinden wollten. Noch schlimmer war das Gefühl der Verlorenheit in einer halbunterirdischen Welt, die von sichtbaren Anhaltspunkten abgeschnitten war. Ich krabbelte häufig an Böschungen hinauf, um zu sehen, wo ich war, mußte aber immer wieder feststellen: nirgendwo auch nur in der Nähe dessen, wo ich hinwollte.
    Schließlich fand ich mich am Ende einer dieser Kletterpartien grummelnd an einer vielbefahrenen, zweispurigen Landstraße direkt gegenüber der blauüberdachten Fläche wieder, die ich seit einer Stunde suchte. Ich konnte Schilder von Texas Homecare, McDonald’s und anderen solchen Läden sehen. Aber als ich zu dem Fußgängerweg zurückging, vermochte ich auch nicht einmal in Ansätzen herauszufinden, wie ich dorthin kam. Die Pfade verzweigten sich in einer Vielzahl von Richtungen, verschwanden hinter künstlich angelegten Kurven, von denen bei näherem Hinschauen keine auch nur halbwegs so aussah, als ob sie was brächte. Zum Schluß folgte ich einem schrägen Pfad hoch zurück auf Straßenniveau, wo ich wenigstens erkennen konnte, wo ich war, und ging von dort den ganzen Weg zurück zum Bahnhof, der nun so absurd weit weg von den Wohnsiedlungen wirkte, daß nur ein ausgemachter Schwachkopf auf den Gedanken kommen konnte, Milton Keynes sei ein Paradies für Flaneure. Kein Wunder, daß mir den ganzen Morgen kein einziger Fußgänger begegnet war.
    Ich erreichte den Bahnhof weit müder, als ich nach der zurückgelegten Strecke hätte sein müssen, und lechzte nach einer Tasse Kaffee. Draußen hing ein Stadtplan, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Als ich ihn nun studierte, weil

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