Reigen des Todes
Betracht. Lueger war ein eitler und gewissenloser Politiker, der die Menschen seit vielen Jahren mit antisemitischen und fremdenfeindlichen Tiraden aufhetzte. Als Bürgermeister regierte er mittlerweile seit zehn Jahren die Stadt. Nein, den ›schönen Karl‹, wie ihn die Wienerinnen und Wiener nannten, konnte Nechyba partout nicht ausstehen. Immer wenn er an Lueger dachte, schwollen ihm die Zornesadern am Hals. Das machte das Zuknöpfen des ohnehin schon etwas engen Hemdkragens zu einer äußerst schwierigen und schweißtreibenden Angelegenheit. Als ihm dies endlich gelungen war und er sich das Mascherl 38 gebunden hatte, klopfte es an der Tür und Gorup von Besanez trat ein. Der drahtige, um einen Kopf kleinere Zentralinspector sah in seinem Frack wie aus dem Ei gepellt aus. Seine grau melierte Igelfrisur und der ebenfalls graue, stachelige Bart standen wie unter Strom gesetzt vom Kopf ab. Wohlwollend musterte er seinen Untergebenen, klopfte ihm auf die Schulter und sagte schmunzelnd: »Ich hab gewusst, dass Sie im Frack eine famose Figur machen werden! Sie sind ohne Zweifel die stattlichste Erscheinung im Polizeiagentenkorps. Ausgezeichnet, Nechyba! Ich wusste schon, warum ich gerade Sie das Leben unseres Kaisers, unserer geliebten Majestät, schützen lasse. Übrigens: Es wird ein heißer Tag. Die Sonne brennt jetzt schon herunter. Da werden wir alle ganz schön ins Schwitzen kommen. Wie spät haben wir es denn?«
Nechyba zog seine Taschenuhr heraus, klappte sie auf und erwiderte: »Drei viertel acht, Herr Zentralinspector.«
»Na, dann haben wir ja noch ein bisserl Zeit. Kommen Sie, Nechyba! Gemma in die Schlossküche und schauma, ob es dort ein Gabelfrühstück für uns gibt.«
Verblüfft folgte Nechyba seinem Vorgesetzten durch mehrere Gänge und Innenhöfe in den Haupttrakt des Schlosses. Bedienstete, die ihnen begegneten, traten respektvoll zur Seite, ältere Bedienstete grüßten den Zentralinspector mit einem »Grüß Gott, Herr Baron.« In der Hofküche angelangt, steuerte Gorup von Besanez auf einen dicken, älteren Koch zu und begrüßte ihn mit den Worten »Leopold, le maître de la cuisine!«
Der Koch schaute verblüfft von seiner Arbeit auf. Auf einem riesigen Tisch zerteilte er gerade mit geübten Schnitten eine Rinderhälfte. Er legte das blutige Messer zur Seite, wischte die rechte Hand an seiner Kochschürze ab und begrüßte den Zentralinspector mit einem herzhaften Händedruck. »Ah, der Herr Baron …«
Gorup von Besanez begann mit dem Koch über frühere Zeiten zu plaudern. Nechyba, der mit Respektabstand neben den beiden stand, beobachtete voll Interesse das Werken in der Großküche. Dabei lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Die Plauderei zwischen den beiden Männern bezog sich auf die ›alten Zeiten‹, als der nunmehrige Zentralinspector Leiter der Polizeiabteilung des Schlosses gewesen war. Jetzt war Nechyba klar, warum Gorup von Besanez sich im Schloss so gut auskannte und warum ihn so viele Menschen grüßten. Der Chefkoch wies einen seiner Helfer an, die Rinderhälfte weiter zu zerteilen. Er selbst machte in einer kleinen Kasserolle aus Butter, Mehl und fein gehackter Petersilie eine gelbe Einbrenn 39 , die er mit kalter Rindsuppe aufgoss. Einen Küchenjungen wies er an, Kapern zu waschen – sodass das Salz weggespült wurde – und fein zu hacken. Sie kamen in die Sauce, die über großer Hitze so lange reduziert wurde, bis sie schön sämig war. Der Chefkoch fischte nun aus einem riesigen Topf, in dem verschiedene Sorten Rindfleisch in siedend heißer Suppe schwammen, eine Rindszunge heraus. Er legte sie kurz in kaltes Wasser und häutete sie im Anschluss ab. Das nun genussfertige Züngerl wurde in appetitliche Scheiben geschnitten, die er auf drei Tellern kreisförmig anrichtete. In die Tellermitten kamen jeweils eine Handvoll Salzerdäpfel 40 . Den Abschluss bildete die Kapernsauce, die Leopold mit einem großen Löffel schwungvoll über Erdäpfel und Zungenstücke goss.
»Voilà! Das Gabelfrühstück! Wünsche guten Appetit, die Herren.« Mit diesen Worten stellte er die Teller auf einen Tisch in der Ecke der Großküche und ließ sich mit einem zufriedenen Schnaufer auf einen der Stühle fallen. Er kostete mit kritischer Miene, Gorup von Besanez und Nechyba probierten ebenfalls. Nach dem ersten Bissen brach Nechyba sein Schweigen. »Kompliment, Herr Leopold. Das schmeckt ganz vorzüglich.«
»Ich weiß net«, raunzte der Koch, »das Züngerl ist noch ein bisserl
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