Reigen des Todes
fest. Beiläufig hätte es noch ein Viertelstünderl kochen können.«
Als aber auch der Zentralinspector die Speise lobte, strahlte der alte Mann und bemerkte lakonisch: »Na ja, essen kann man’s …«
Kurz vor neun Uhr führte Gorup von Besanez den Nechyba sowie sieben Polizeiagenten zu den Räumlichkeiten des polizeilichen Sicherheitsdienstes im Schloss Schönbrunn. Dort wurden sie vom Leiter, Polizeirat Edmund Gayer, bereits erwartet. Mit ihm wurde die Aufstellung und Verteilung der Polizeiagenten besprochen. Der Großteil von Gayers Leuten hatte bereits seine Position bezogen. Sie halfen unter anderem den dreitausend Festgästen, ihre Plätze zu finden. Nechyba ließ seine Leute vor sich antreten und kontrollierte deren Aussehen und Adjustierung. Als sie in den geliehenen Fräcken in Reih und Glied vor ihm standen, kamen sie ihm wie Pinguine vor. Er unterdrückte ein Grinsen und schickte den Polizeiagenten Müllner in den Waschraum, um sich dort nochmals zu rasieren. Zwei weiteren befahl er, mit Spucke und Taschentüchern ihre Schuhe auf Hochglanz zu polieren. Und den Pospischil sekkierte 41 er ein bisschen: Ihn ließ er drei Mal hintereinander das Mascherl neu binden. Um halb zehn Uhr, als seine Leute draußen bei den Festgästen ihre Posten bezogen hatten, begaben sich Nechyba, Gayer und Gorup von Besanez über zahlreiche Stiegen zu den Gemächern Seiner Allerhöchsten Majestät. Vor Aufregung hatte Nechyba schweißnasse Hände. Eugen Ketterl, der kaiserliche Kammerdiener, empfing sie im Vorraum des kaiserlichen Arbeitszimmers. Als sie warteten, wurde Nechyba vor Aufregung fast schlecht. Plötzlich ging die Tür auf und der Kaiser stand vor ihnen.
»Grüß Gott, die Herren!« Dann wandte sich der nicht allzu groß gewachsene Monarch an Nechyba, zu dem er wie zu einem Turm aufsah. »Sie sind also der Inspector Nechyba. Ich habe Ihre Personalakte studiert … tüchtig, tüchtig … machen S’ weiter so. Ich hab g’hört, dass Sie mich heut beschützen sollen. Na, da werden S’ nicht viel zu tun haben …«
Und zum Zentralinspector meinte der Monarch schmunzelnd: »Einen noch größeren und kräftigeren Leibwächter hätten S’ bei Gott nicht finden können …«
Nechyba rauschte das Blut in den Ohren. Der Kaiser höchstpersönlich hatte sich seine Personalakte angesehen und ihn belobigt. Wenn das sein Vater erlebt hätte! Der ehemalige Zugführer der k.k. Militärpolizeiwache, der anno 1851 nach Wien versetzt worden war, wäre auf seinen Sprössling mächtig stolz gewesen. Eine Türe wurde geöffnet und Obersthofmeister Fürst Montenuovo trat ein. Mit flinken, kalten Augen musterte er die Polizisten und drehte sich dann zum Kaiser. »Majestät, wenn ich bitten darf, es ist so weit. Die allerhöchste Familie hat bereits Aufstellung genommen.«
Der Kaiser nickte und ging – dicht gefolgt von Nechyba – durch Türen, die wie automatisch von Kammerdienern geöffnet wurden. Nach der Durchquerung einer Reihe von Zimmern gelangten sie in den Vorraum der großen Schlossterrasse. Hier wartete die versammelte kaiserliche Familie. Schlag zehn Uhr wurden die Türen der Veranda von livrierten Lakaien geöffnet und der Wiener Bürgermeister sowie der für den Festakt verantwortliche Stadtrat Leopold Tomola traten vor den Kaiser und bedankten sich für die allerhöchste Bewilligung zur Darbringung der Huldigung. Lueger bat den Monarchen, das Zeichen zum Beginn zu geben. Der Kaiser entsprach dieser Bitte. Darauf kehrten Lueger und Tomola zu ihren Plätzen auf der Festtribüne zurück. Nechyba erschrak über Luegers erbärmlichen Gesundheitszustand – obwohl allgemein bekannt war, dass der Bürgermeister gesundheitliche Probleme hatte. Mühsam, auf einen Stock gestützt, schleppte er sich durch die Gegend. Lueger sah neben der drahtigen Erscheinung des um vierzehn Jahre älteren Kaisers – der nun bereits achtundsiebzig Jahre alt war – wie ein Tattergreis aus. Vom einstmals ›schönen Karl‹ war nicht viel übrig geblieben.
Als der Kaiser samt Familie und Nechyba auf die mächtige, barocke Terrasse des Schlosses hinaustrat, brandeten aus zehntausenden Kehlen Hochrufe empor. Tausende Taschentücher wurden von den über zweiundachtzigtausend anwesenden Kindern geschwenkt. Sichtlich gerührt trat Franz Josef I. an die steinerne Brüstung vor, von wo er die Aufführung verfolgte. Diese paar Schritte brachten Nechyba in einen ernsten Konflikt. Sollte – beziehungsweise musste – er nun auch vortreten
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