Rein Wie Der Tod
als wir ihre Tasche durchsucht haben, aber sie hat die Klappe gehalten. Auch dir gegenüber hat sie die Klappe gehalten. Dass sie mir mit dem Feuerzeug in der Tasche in die Arme lief, war reiner Zufall. So was passiert jeden Tag - die Straßenbahn kommt zwei Minuten zu spät, und du begegnest einem fremden Menschen an der Haltestelle. Vielleicht heiratest du diesen Menschen irgendwann. Das Leben besteht aus Zufällen. Sie fallen uns ständig vor die Füße, wir können ihnen nicht entkommen. Das Entscheidende ist, dass Veronika sich Kristoffer allein vorgenommen hat, um die Sache zu klären. Das war nur fair. Der Einzige, dem wir etwas vorzuwerfen haben, ist Kristoffer. Er hat das Feuerzeug in ihre Handtasche gesteckt, er hat mit dem Messer zugestochen. Ich hatte damit nichts zu tun.«
»Wenn du an dem Morgen beschlossen hättest, sie gehen zu lassen, statt sie zu verhaften, dann wäre das alles nicht passiert«, antwortete Karl Anders kühl. »Veronika hätte das Feuerzeug in ihrer Tasche gefunden und es Kristoffer zurückgegeben, und das wäre alles gewesen. Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
Karl Anders gab die Antwort selbst: »Ich glaube nicht. Es käme dir niemals in den Sinn, einen selbstkritischen Gedanken zu denken.«
Er griff nach einer langen Stahlstange und warf sie sich über die Schulter. Dann ging er an Frølich vorbei wieder zurück. So trotteten sie hintereinander her in die Halle mit dem Lärm und dem Gestank.
Sie bewegten sich dicht an der Felswand entlang, stiegen über vibrierende Metallflächen, bis Karl Anders stehen blieb. Ohne ein Wort hob er einen riesigen Deckel hoch, der sehr fest saß. Als der Deckel sich löste, schwappte grünbraune Flüssigkeit über den Metallrand. Frølich wich zurück an das Geländer, aber er war nicht schnell genug. Die Brühe schwappte über seine Joggingschuhe.
Karl Anders grinste und rief etwas durch den Lärm. Frølich hörte es nicht. Karl Anders' mit Gummi bekleideter Körper sank in den Bottich hinab, bis er bis zur Taille darinstand. Er stocherte mit der Stahlstange darin herum.
»Veronika ist nicht zu Kristoffer gefahren, um ihn an die Polizei zu verraten«, rief Frølich. »Sie hat niemandem seinen Namen verraten, das ist der Punkt. Sie war loyal. Aber du warst es nicht. Als Veronika zu Kristoffer ging, um ihm ihre Meinung zu sagen, hattest du seine Mutter zu dir geholt. Dabei hatte dir Veronika einzig und allein von der Geldstrafe erzählt, die ich ihr verpasst habe. So wenig hat für dich schon ausgereicht, um sie zu verraten?«
Karl Anders rief etwas zurück, aber das Getöse aus dem Zuflussrohr verschluckte seine Worte.
»Was hast du gesagt?«
»Ich habe sie nicht verraten!«, rief Karl Anders durch den Lärm.
»Ach nein? Du warst mit seiner Mutter im Bett, als Kristoffer Veronika erstochen hat. Was glaubst du wäre passiert, wenn Janne zu Hause gewesen wäre, statt in deinem Bett, als Veronika an dem Abend ankam? Hätte sie am Ende Veronika umgebracht? Wohl kaum. Aber es ist sinnlos, darüber nachzudenken. Sich in Hypothesen zu verlieren ist vergeudete Zeit.«
»Nichts wäre passiert, wenn du dich anders verhalten hättest! Kapierst du das denn nicht, Frank? Deine ganzen schlechten Seiten sind immer noch da. Du machst kaputt, was dir in die Finger kommt. Du trampelst in anderer Leute Angelegenheiten herum wie ein Elefant. Du bescheißt, spionierst und fuhrwerkst in anderer Leute Privatsphäre herum. Jetzt hast du mein Leben ruiniert! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!«
Irgendetwas geschah unten in dem Bottich. Ein Knall, der von einem heftigen lang gezogenen Schlürflaut begleitet wurde, erzeugte ein Echo an der Felsenwand, und das Schmutzwasser wälzte sich über den Rand. Karl Anders kletterte herauf und machte den Deckel wieder zu.
»Weißt du, dass viele Menschen von Kloaken fasziniert sind, Frank? Die Leute sind ganz heiß darauf, in Scheiße herumzuwaten. Wir arrangieren Führungen und nennen sie Kloakensafari. Die Leute stehen Schlange, um in dem Dreck herumzulaufen, der in den Kanälen unter Bankplassen herumschwappt. Firmen arrangieren Betriebsausflüge mit Führungen in dieser Anlage. Und wer sich immer am meisten dafür interessiert, sind die Frauen. Ich halte jungen hübschen Mädels Vorträge über die Ingenieurkunst unter den Gullys. Sie sitzen geduldig da und hören zu, bis ich fertig bin, denn sie haben so viele Fragen zum Thema Scheiße, die sie gerne noch stellen wollen. Sie sind wie Kindergartenkinder,
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