Rein Wie Der Tod
hinunter und legte eine Hand auf ihre Schulter.
Sie zuckte zusammen und sagte: »Ich bin eingeschlafen.«
»Kommen Sie wegen Ihrer Brille?«
Sie schüttelte den Kopf.
Er öffnete die Tür und schob sie auf. »Kann ich Ihr Bad benutzen?«, flüsterte sie.
Er nickte und blieb mitten im Wohnzimmer stehen, bis sie wiederkam.
»Was gibt es?«, fragte er.
Sie zögerte. »Kann ich hier schlafen?«
Er begriff, dass dies nicht der Moment war, um auf einer Antwort zu bestehen, und sagte: »Ich habe nur ein Sofa. Nein, nehmen Sie ruhig das Bett, und ich lege mich aufs Sofa, ich muss morgen früh raus.« Er sah auf die Uhr. »Morgen heißt heute.«
»Wirklich?«
Er nickte. Öffnete die Tür zum Schlafzimmer. »Völlig okay, nehmen Sie das Bett. Ich hab keine Lust mehr, es neu zu beziehen, aber wenn Sie wollen, dann finden Sie frische Bettwäsche im Schrank.« Er öffnete den Schrank, holte seinen Schlafsack heraus und war schon wieder auf dem Weg ins Wohnzimmer, als sie nach seiner Hand griff. »Bleiben Sie ein bisschen hier«, sagte sie. »Nur ein bisschen.«
Sie legten sich so, wie sie waren, auf die Bettdecke. Ihr Haar kitzelte, und er rückte seinen Kopf ein Stückchen zur Seite. Schloss die Augen.
Scharfe Sonnenstrahlen weckten ihn wieder. Er zog die Gardinen vor und sah auf die Uhr - es war kurz nach neun. Noch zwei Stunden schlafen, dachte er, mindestens. Er drehte sich um und begegnete Iselins Blick.
»War nur die Sonne, die mich geweckt hat.«
Er drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Blieb so liegen und spürte, dass sie ihn ansah. Schließlich öffnete er die Augen wieder und sah direkt in ihr Gesicht.
»Andreas ist tot«, flüsterte sie.
Er streckte den Arm aus, sodass sie ihren Kopf darauf legen konnte.
»Er hat angerufen und mich geweckt, um zwei Uhr. Er war mit einem Auto unterwegs. Er hat mir erzählt, was er sich vorgenommen hatte. Und ich habe ihn gebeten, es nicht zu tun. Ich glaube, er hat das Handy auf den Sitz gelegt, damit ich höre, wie es kracht.«
Tränen tropften aus ihren Augen auf seinen Arm.
Frølich zog sie an sich. Ihr Haar roch nach Kräutershampoo.
»Es war außerhalb der Stadt, auf dem Riksvei 4. Er ist mit einem Lastwagen zusammengestoßen«, sagte sie. »Rune, der Mann, den Sie letztes Mal getroffen haben - ist Arzt in Akershus. Er hat erzählt, dass Andreas auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben ist.«
Frank Frølich sagte nichts. Es gab nichts mehr zu sagen.
50
Die Hitzewelle war vorbei. Seit drei Tagen strömte Regen vom Himmel. Die Wassertropfen an der Scheibe fraßen sich gegenseitig und wurden zu Streifen. Der Regen wusch Pfützen in den Boden, die immer größer wurden und in die Rasenflächen drängten, die schon von Wasser gesättigt waren. Regenwürmer wurden an die Oberfläche gepresst, versuchten verstohlen zu fliehen und wurden doch von gnadenlosen Drosseln und Bachstelzen gefressen oder ertranken einfach in einer Pfütze. Das Wasser strömte in Bächen an den Bordsteinkanten entlang, verbreiterte sich in der Begegnung mit kleinen Wasserfällen aus den Dachrinnen, fand seinen Weg durch Gullys und Abflussroste. Oder es sammelte sich zu kleinen Seen in Kuhlen und Vertiefungen an den Straßen. Die Feuerwehrleute und die Angestellten der Stadtreinigung stocherten so gut sie konnten die Abflüsse wieder frei. Das Gewitter schaltete Trafostationen aus und hinterließ Teile der Stadt stromlos und düster.
Die Scheibenwischer schlugen hin und her, hin und her. Frølich bekam einen Anruf von Gunnarstranda. Der alte Brummbär wollte mit ihm über den Fall Sivert Almeli diskutieren. Es war offensichtlich, dass weder Valeur noch die Smith-Family den Kerl umgebracht hatte. Gunnarstranda war eifrig dabei, das Fotomaterial von Almeli noch einmal durchzugehen, um es mit frischem Blick zu betrachten. Jetzt waren ihm ein paar Ideen gekommen, die er besprechen wollte.
Frølich sah auf die Uhr. Es passte verdammt schlecht. Er hatte andere Sorgen - zum Beispiel den Vorsatz, zerschnittene Freundschaftsbande wieder zusammenzuflechten. Außerdem war es schon spät. Er antwortete kurz, sagte, er wäre am nächsten Morgen wieder im Büro, beendete das Gespräch und fuhr weiter durch den dichten Regen. Den Oslofjord entlang nach Süden, an Sjursøya vorbei. Musste in der Senke bei Nedre Bekkelaget vor einer roten Ampel halten und bog dann in den Bekkelagskaia ein. Links ragten riesige Kräne in den Himmel und hoben Container von Stapeln, die aussahen wie Gebäude aus
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