Rein Wie Der Tod
sich auf dem Absatz um und öffnete das Tor. Ein paar Sekunden kehrte er Lena den Rücken zu. Als sie etwas sagen wollte, ging er weiter zwischen Stapeln von Autoreifen hindurch, an einer Hebebühne und ein paar Maschinen vorbei, auf ein Büro mit einer Glaswand zu.
Lena warf einen Blick über ihre Schulter.
Ståle Sender öffnete die Wagentür und stieg aus. Sie winkte ihm zu und formte mit den Lippen stumm die Botschaft: Bin gleich wieder da. Er verschränkte seine mächtigen Arme vor dem Brustkasten und lehnte sich an seinen Mustang. Die Sonnenbrille auf der Nase und die V-Form seines Oberkörpers machten ihn genau zu dem Klischee, das er so gerne sein wollte.
Sie ging hinter Zahid her, an Reifenstapeln, Wagenhebern und hydraulischen Maschinen vorbei.
Die Luft im Büro war abgestanden und roch unangenehm nach altem Staub. Zahid saß auf einem Stuhl hinter einem Schreibtisch. Er war etwas korpulent, wie sie jetzt feststellen konnte. Der Bauch drückte gegen die Schreibtischkante. Er sah mitgenommen aus. Der wohl frisierte Bart und das zurückgekämmte Haar konnten den Playboylook nicht mehr aufrechterhalten. Eine Rolex mit etwas zu weitem Armband rutschte seinen Unterarm hinunter und traf mit einem kaum hörbaren Klirren auf ein goldenes Kettenarmband.
»Können Sie mir von ihr erzählen?«
An einer Wand hing ein Kalender einer Felgen-Firma. Das Kalenderblatt war fünf Monate alt, vom Februar. Eine nackte Blondine mit geflochtenen Zöpfen und rot geschminkten Wangen hielt eine Aluminiumfelge unter ihren Brüsten. Der Lutscher im Mund unterstrich noch den pädophilen Touch.
Zahid holte tief Luft und richtete sich auf. »Wir sind von der Ersten bis zur Neunten in eine Klasse gegangen.« Seine Augen glänzten feucht, und seine Lippen zitterten, als er sprach.
Lena kaufte ihm die Vorstellung nicht ab, sagte aber nichts.
»Veronika war mein idealisiertes Norwegen, Lena, meine Freundin, aber nicht nur eine Freundin, sie war mein Bond-Girl. Denk mal zurück an die 80er Jahre, ich war ein Ausländer, weißt du, ein Pakkis. Veronika war das coolste Mädchen in der Schule, und sie war meine beste Freundin.«
»In der Nacht zum Samstag nach ihrem Besuch bei Ihnen wurde Veronika verhaftet. Warum war sie in der Nacht bei Ihnen?«
»Ich habe sie gebeten zu kommen.«
»Warum?«
»Ich brauchte jemanden zum Reden.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Über dich.«
»Über mich?«
»Oder die Polizei, ihr seid schließlich die ganze Zeit da, lasst mir keine Ruhe, lasst meiner Familie keine Ruhe. Das alles ist unerträglich für mich. Ihr bringt mich noch um den Verstand und meine Mutter und meinen Vater, meine Brüder und meine Schwestern auch. Ihr habt sogar Veronika hoppsgenommen. Einen Gast. Was sollte das?«
Lena antwortete nicht.
»Als wir kleiner waren, bin ich immer zu Veronika gelaufen, wenn mir irgendwas zu viel wurde.« Zahids Gesicht wurde weich, als würde er sich an eine lustige Begebenheit erinnern. »Wir haben immer in ihrem Zimmer gesessen und Tee getrunken. Da konnten wir stundenlang sitzen und reden und zusammen lachen. Sie hat mir beigebracht, das Komische in allen Dingen zu sehen.« Zahids Gesicht verdunkelte sich wieder. »In der Nacht habe ich genau das gebraucht. Also hatte ich die Idee, habe angerufen, und sie ist gekommen. Wie immer«, fügte er hinzu, bevor sie etwas sagen konnte.
Wieder schimmerten seine Augen feucht.
»Nachdem sie verhaftet wurde, musste sie eine Geldstrafe bezahlen, weil sie Kokain bei sich hatte.«
Er hob den Kopf und sah sie misstrauisch an. »Ihr wisst ganz genau, dass ich weder Rauschgift verkaufe noch welches nehme. Ich bin Moslem, Lena. Ich trinke keinen Wein, kein Bier, keinen Schnaps, ich rauche kein Hasch, ich verpeste mir nicht das Gehirn mit den Dreckswolken von Rauschgiften.«
»Und Veronika?«
Kadir Zahid sah zu ihr auf. »Wirst du mir glauben, wenn ich dir auf diese Frage antworte?«
»Warum sollte ich Ihnen nicht glauben?«
»Weil die Antwort Nein ist. Ich kannte Veronika. Sie hat vielleicht mal ein Glas Campari getrunken oder irgendwelche coolen Cocktails auf Partys, aber mehr auch nicht. Sie hat keine anderen Drogen genommen. Glaubst du mir?«
»Sie haben sie um halb zwei in der Nacht gebeten, zu Ihnen nach Hause zu kommen, um zu reden? Hätten Sie nicht bei Tage miteinander reden können?«
»Bei der Arbeit?«
»Sie arbeiten?«, sagte Lena bissig. »Hier?«
Sie ging aus dem Büro und drehte demonstrativ eine Runde durch die Werkstatt. Er
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