Rein Wie Der Tod
Gunnarstranda der Meinung, der Fall Veronika sei wichtiger als dieser hier.«
Damit war sie draußen.
Frølich saß da, schaute von der Tür zum CD-Stapel und dann zum Telefon. Er öffnete seinen Laptop und legte den ersten Film ein.
9
Die anderen konnten es nicht fassen, dass sie bei einer solchen Hitze joggen ging. Aber sie hatten auch keine Ahnung. Sie wussten zwar von Ståle , aber sie dachten, sie wüssten alles. Was Lena selbst dachte, davon hatten sie keinen Schimmer. So konnte es nicht weitergehen, das war ihr klar. Ståle dachte wohl dasselbe. Insgeheim wünschte er sich auch ein Ende der Beziehung. Möglicherweise machten sie deshalb auf diese Weise weiter. Alles lief nach einem Muster, das jedes Mal, wenn sie zusammen waren, eskalierte.
Es gefiel ihr, dass er wusste, was er wollte, aber sie hasste Brutalität. An ihre letzte Begegnung wollte sie gar nicht denken. Versuchte lieber eine Analyse: Da die Leidenschaft das Einzige war, was sie verband, wurde alle Energie zwischen ihnen in eine Sexualität kanalisiert, in der sie beide die Grenzen jedes Mal ein wenig weiter überschritten.
Wie jetzt auch wieder, dachte sie selbstironisch. Sein freier Tag, und sie gehorchte seinem Einfall für die Lunchpause. Rollenspiel.
Sie zog ihre Laufsachen und die Joggingschuhe an und lief mit einem kleinen Rucksack auf dem Rücken los. Joggte leichtfüßig den Fußweg im Grønlandsparken entlang und weiter Åkebergveien hinauf. Sie liebte es zu laufen, Knie, Schenkel und Waden unter dem Gewicht des eigenen Körpers federn zu spüren. Richtig atmen. Noch nicht der Phantasie freien Lauf lassen. Noch nicht daran denken, was geschehen würde. Über den Kreisverkehr in Galgenberg laufen. Noch nicht schwitzend. Lauschen. Da. Sie hörte den V-8 dröhnen, hörte, wie er das Gas wegnahm, als er hinter ihr bremste. Sie drehte sich nicht um. Joggte weiter. Dachte daran, wie er sie jetzt betrachtete, phantasierte. Dann fuhr er neben ihr. Kurbelte das Fenster herunter, als sie sich der Bushaltestelle näherte. Sie dachte: Er macht es da, an der Haltestelle.
Sie bereitete sich vor. Kein Mensch an der Haltestelle. Sie sprintete davon. Um ein Haar. Der Wagen zog nach rechts und drückte sie von der Straße. Sie musste anhalten, blieb stehen und rang nach Atem. Durch das Fenster befahl er ihr, einzusteigen. Die Sonnenbrille verbarg seine Augen. Sie fragte, warum.
»Steig ein«, wiederholte er hart. Eine ältere Frau kam ihnen entgegen. Der Wagen stand im Weg. Irritiert blieb die Frau stehen.
»Tu, was ich dir sage«, sagte Ståle .
Sie gehorchte. Er legte den Gang ein. Stumm. Es war angenehm kühl im Auto. Kalte Luft strömte ihr ins Gesicht.
Er fuhr über den Ringveien, bog in den Maridalsveien ein. Ihr Atem ging wieder ruhiger. Die Klimaanlage kühlte ihren Körper ab, aber nicht genug. Er befahl ihr, sich auszuziehen, und sie gehorchte, bis sie vollkommen nackt dasaß.
Er sagte ihr, was sie mit sich selbst tun solle. Sie gehorchte.
Schließlich parkte er unter den Laubbäumen. Sagte ihr, was sie mit ihm tun solle. Sie gehorchte wieder. Dachte nicht nach, handelte nur und genoss es. Mit dem Erleben schwimmen, wie in einem Kajak einen bewegten Fluss hinab, konzentriert auf die Freude am Beherrschen dieser Kräfte und an der grenzenlosen Macht, die sie dadurch besaß. Manchmal fühlte sie sich hinterher schmutzig. Manchmal fragte sie sich, ob sie jedes normale Maß verloren habe.
Niemand wusste besser als Lena, dass das hier Theater war. Sie war der Tagtraum, sie erfüllte die Phantasien, die Ståle mit seiner Frau nicht ausleben konnte, die in den Wechseljahren war und an Osteoporose litt. Er klagte immer über seine Frau, und sie ließ ihn klagen. Es waren nur Worte. Sie selbst war sein Traum vom Jungbrunnen, und es war ihr völlig egal, während sie dabei waren. Keine Selbstverachtung konnte den Rausch und das Machtgefühl aufwiegen, das sie erlebte, wenn er sich vollkommen hingab.
Hinterher allerdings war sie genauso gnadenlos Sklavin ihres Über-Ichs: Ebenso sicher, wie nach dem Sonnenschein der Regen kommt, nahmen dann die Selbstbezichtigungen und die Selbstverachtung von ihr Besitz. Dann war er nichts. Dann war er genauso schmutzig, wie sie sich fühlte. Sein Geschlecht erstarb in ihr, so wenig sie das auch wünschte. Bald würde er sie wegschieben, das Kondom aus dem Fenster schmeißen, ohne zu begreifen, dass ein solches Verhalten vulgär und kränkend war und mit aller Deutlichkeit die Abwesenheit echter Gefühle
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