Rein Wie Der Tod
der Deichmanschen Bibliothek und zurzeit krankgeschrieben. Hat keine Ursache für die Krankschreibung angegeben, aber gesagt, er würde die nächsten drei Tage nicht zur Arbeit kommen, dann müsste der Arzt entscheiden, wie es weiterginge.«
»Du hast mit seinem Chef gesprochen?«
»Mit einer Kollegin. Sie sagt, er arbeite schon länger dort als sie, bestimmt mehrere Jahrzehnte. Er ist eine Art Institution in der Bibliothek. An und für sich sei er nett, ein ganz normaler Mann, aber sehr zurückgezogen, nimmt selten an Weihnachtsfeiern oder anderen geselligen Veranstaltungen teil. Niemand in der Deichmanschen hat je von Veronika gehört oder sie auf dem Foto erkannt, aber ich glaube, ich weiß, was für eine Beziehung zwischen den beiden besteht.«
»Aha«, sagte Gunnarstranda und änderte den Griff um sein Handy. Er befand sich in Veronika Undsets Wohnung und war dabei, Kisten mit Unterwäsche aus ihrem Schrank zu durchsuchen. Auf dem Bett lagen Stapel von Slips, Strümpfen, Strumpfhosen, BHs ...
»Warum hast du nicht mit dem Kerl gesprochen?«
»Habe einen guten Grund«, sagte Frølich. »Wo bist du?«
»Da, wo wir uns zuletzt gesehen haben«, sagte Gunnarstranda. »Immer noch in ihrer Wohnung.«
»Das habe ich mir gedacht. Dann kannst du ja auch gleich mit Almeli sprechen«, grinste Frølich ins Telefon. »Er ist nämlich ihr Nachbar. Wohnt in der Nummer achtzehn.«
* * *
Die Tür zum Treppenhaus war verschlossen.
Gunnarstranda drückte auf Almelis Klingelknopf. Schob die Hände in die Taschen und wartete. Offensichtlich niemand zuhause. Er klingelte noch einmal. Die Finger seiner linken Hand fanden etwas in der Tasche. Es war Toves Schraube, immer noch an dem Faden befestigt - das Pendel.
Er klingelte noch einmal, aber der Lautsprecher der Gegensprechanlage blieb weiterhin stumm. Also klingelte er bei einer der Wohnungen im Erdgeschoss.
»Ja«, ertönte bald eine rostige Frauenstimme, die mit der typischen Ängstlichkeit einer Rentnerin zitterte.
»Hier ist die Polizei.«
Sie stand wartend auf dem Treppenabsatz und stützte sich auf einen Rollator. Graue Dauerwelle und runzliges Gesicht, um die achtzig. In weißer Bluse und dunkler Hose. »Worum geht es denn?«, fragte sie aufgeregt.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Gunnarstranda teilnahmsvoll. »Ich muss auf den falschen Knopf gedrückt haben. Ich wollte zu Herrn Almeli im dritten Stock.«
Sie schnaubte beleidigt, schwang den Rollator herum und stapfte in ihre Wohnung zurück.
Gunnarstranda ging die Treppe hinauf, Stockwerk um Stockwerk. Wohnblocks, die mehr als zwei Stockwerke und keinen Aufzug hatten, waren ein Unding! Das Atmen fiel ihm schwer. Der Arzt hatte recht. Die Lungen wurden nicht gesund, obwohl er mit dem Rauchen aufgehört hatte. Er hielt inne, ruhte sich aus. Trotzdem klang sein Atem wie ein Blasebalg, als er endlich oben angekommen war. Das Namensschild war schwarz, die Buchstaben weiß. Sivert Almeli.
Die Türklingel schrillte wie ein Telefon aus den 60er Jahren. Niemand öffnete. Ein Luftzug im Treppenhaus löste eine kleine Bewegung aus. Almelis Tür schlug leicht gegen den Rahmen. Sie war offen.
Sollte er? Es war verführerisch. Er spähte über seine Schulter. Niemand würde es sehen, wenn er hineinging. Er betrachtete die Tür zur Nachbarwohnung. Kein Guckloch. Alles war völlig still.
Gunnarstranda konnte sich nicht beherrschen. Er zog die Tür auf.
Dann blieb er stehen und sah in den Flur hinein.
»Almeli?«
Kein Laut war zu hören.
»Ich bin von der Polizei. Ich habe ein paar Fragen an Sie.«
Totale Stille. Oder war da ein Geräusch?
Zögernd trat er über die Schwelle. Zog die Tür hinter sich ins Schloss.
Im Flur stand ein einsamer Garderobenständer, an dem kein einziges Kleidungsstück hing. Keine Schuhe auf dem Boden, keine Bilder an der Wand. Drei geschlossene Türen leuchteten ihm abweisend entgegen. Er hob die Hand, hielt aber in der Bewegung inne, als er etwas hörte.
Wo kam das Geräusch her?
Er klopfte an die nächste Tür.
»Hallo?«
Keine Reaktion. Er lauschte konzentriert.
Da war ein Geräusch.
Er klopfte noch einmal.
Keine Reaktion. Er öffnete die Tür. Sie führte ins Badezimmer, das leer war. Weiße altmodische Badewanne und ebensolches Waschbecken. Eine Zahnbürste in einem Glas auf einem Spiegelregal.
Er drehte sich um. Öffnete eine andere Tür und sah in die Küche. Sie war genauso leer. Die Einrichtung musste noch aus der Zeit stammen, als diese Blocks gebaut wurden.
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