Rein Wie Der Tod
Undset und Signe Herring.
Borge ergriff das Wort. Er wolle zwar gar nicht so weit vorgreifen, aber man müsse doch davon ausgehen, dass die Osloer Polizei es hier mit einem Serienmörder zu tun habe. Er begann, die These zu untermauern, indem er zunächst auf die relativ ähnliche Physiognomie der Opfer hinwies. Beide hatten rote Haare und auffallend ähnliche Frisuren. Sie waren ungefähr gleich groß, Undset 164 cm, Herring 161 cm. Das Alter war unterschiedlich. Signe Herring war neunzehn, Veronika Undset fünfunddreißig. Beide waren auffallend attraktive Frauen, die sich den Berichten zufolge auch erotisch kleideten. Signe Herring wurde vierunddreißig Mal in den Brustbereich gestochen, Undset zweiundzwanzig Mal. Beide Opfer waren körperlicher Gewalt ausgesetzt. Signe hatte offenbar weniger Widerstand gleistet und deshalb nicht so umfangreiche Verletzungen durch Schläge oder Tritte erlitten. Veronika war so stark geschlagen worden, dass ihr Schädel gebrochen war. Die Morde waren also mit starkem Affekt begangen worden, und zwar an einem anderen Ort als am Fundort. In beiden Fällen waren die Tatorte unbekannt. Beide Opfer waren post mortem zu den Fundorten transportiert worden, zu einer Müllhalde in Senja und zu einem Mietcontainer für Bauschutt im Ortsteil Kalbakken in Oslo. Signe Herrings Leiche war unbekleidet gefunden worden. Veronika Undsets Leiche war in Cellophan verpackt.
An Signe Herrings Körper hatten die Ermittler biologische Spuren einer Vergewaltigung sichergestellt.
Veronika Undset war im Bereich des Unterleibs abgespült und verbrüht worden. Man hatte keine DNA des Täters und damit keine Möglichkeit, die DNAs zu vergleichen und festzustellen, ob es derselbe Täter war. Aber sollte es sich um denselben Täter handeln, so nahm Borge an, dass der Mann aus seiner Erfahrung mit Herring gelernt hatte und deshalb bei Veronika Undset alle Spuren seines sexuellen Übergriffs abgewaschen hatte.
Die Unterschiede zwischen den Morden umfassten auch den geographischen Aspekt. Signe Herring besuchte die Abschlussklasse des Gymnasiums Finnfjordbotn in Tromsø, 1500 Kilometer nördlich von Norwegens Hauptstadt. Auch was die Tatwaffen betraf, gab es Unterschiede. Signe Herring war mit einer längeren Stichwaffe getötet worden. Aufgrund der Tiefe der Stichwunden lautete die Hypothese, dass der Mörder ein traditionelles Samenmesser der größeren Sorte benutzt hatte. Die Klinge des Messers, das Veronika Undset getötet hatte, konnte nicht länger als sieben Zentimeter gewesen sein, und das Profil der Stiche legte nahe, dass es sich bei der Tatwaffe wahrscheinlich um die Sorte Messer handelte, die häufig beim Tapezieren und anderen Renovierungsarbeiten verwendet wird - ein Stanley Tapetenmesser mit auswechselbaren Klingen.
»Ja?«, sagte Stephan Borge und nickte Gunnarstranda zu, der sich gemeldet hatte.
»Und in welchem Maße schwächen der geographische Abstand und der Zeitaspekt die Theorie von einem Serienmord?«
»Meine Auffassung ist folgende«, begann der Schwede, während er seine große Hornbrille abnahm, sie putzte und wieder auf seiner Nase platzierte. »Ich appelliere hier an die Erfahrungen der anwesenden Ermittler der Mordkommission. Wer einmal einen Menschen umgebracht hat, ohne entdeckt zu werden, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit wieder töten.«
Die Polizeibeamten am Tisch nickten zustimmend.
Was den geographischen Abstand betraf, so müsse dieser der Hypothese nicht notwendigerweise widersprechen. Möglicherweise habe der Täter zwei Wohnorte oder eine Arbeit, für die er viel herumreise - zum Beispiel als Lastwagenfahrer oder Vertreter. Oder der Mörder habe eine Stelle, die ihn zwinge, an zwei verschiedenen Orten zu arbeiten. Die Kombination von Zeitaspekt und geographischem Abstand könnte sogar die Theorie eines Serienmordes noch untermauern.
Rindal ergriff das Wort: »Der Grund, warum wir die beiden Fälle überhaupt miteinander in Verbindung bringen, ist, dass ein Zeuge im Fall Veronika Undset - Erik Valeur, der jetzt in Bærum wohnt - mit Signe Herring Kontakt hatte, als Therapeut in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tromsø. Mit großer Wahrscheinlichkeit stehen wir vor einem Durchbruch in diesem Fall.«
Gunnarstranda streckte wieder die Hand in die Luft.
Borge nickte ihm zu.
»Einer unserer Zeugen hat 2006 beim NVE gearbeitet und kleinere Flüsse und Wasserfälle inspiziert, im Zusammenhang mit den Konzessionen für Kleinkraftwerke auf Bauernhöfen und so
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