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Reinen Herzens

Reinen Herzens

Titel: Reinen Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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als ich an die Front geschickt wurde. Ich wollte zu ihr und zu unserem Kind, das ich nie gesehen hatte. Also kam ich heimlich über die Grenze zurück. Sie lebten hier in diesem Haus. Sie haben mich versteckt.«
    »Die Frau oben?«, fragte Agáta.
    »Das war Hana, mein Mädchen, meine Frau, obwohl wir nie geheiratet haben. Es ging ja nie. Wir hatten eine Tochter. Ein wunderbares Kind. Nur ein Jahr, nachdem ich zurückgekehrt war, starb unser Mädchen. Sie war zwölf Jahre alt. Wie Hermiona jetzt.« Tränen liefen ihm über die eingefallenen Wangen. Er wischte sie mit dem Handrücken weg. »Kurz darauf starb Hanas Mutter. Wir zwei blieben hier. Allein.«
    »Sie hielten sich weiter versteckt?«
    Er nickte. »Ich hatte Angst, dass man mich wieder fortschicken oder einsperren würde. Mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt. Hana arbeitete im Krankenhaus in Cheb. Sie war Hebamme. Ich ging nachts spazieren, wenn ich es im Haus nicht mehr aushielt. Ich war eingesperrt, aber wenigstens war ich bei Hana. Es war eine gute Entscheidung gewesen, zurückzukommen. Trotz allem.« Ein Lächeln huschte über sein altes Gesicht. »Ich hätte sie nie verlassen.«
    Agáta schenkte Tee nach. Sie sah sich nach Hermiona um. Das Mädchen hatte sich am Fenster auf die Spüle gesetzt und streichelte das glänzende Gefieder des dösenden Raben, während es aufmerksam der Erzählung des alten Mannes lauschte. Agáta hatte den Eindruck, dass Hermiona die Geschichte kannte.
    Der Alte folgte Agátas Blick. »Vor zwölf Jahren kam Hana eines Abends mit einem Baby nach Hause. Einem Neugeborenen. Eine junge Frau hatte es zur Welt gebracht, aber ihr Mann wollte es nicht und verlangte von dem behandelnden Arzt, dass er es beseitige. Er bot ihm viel Geld an. Der Arzt ging darauf ein. Er brauchte das Geld für seine Frau, die damals schwer krank war. Aber er wollte dem Kind nichts antun. Er fragte Hana um Rat, und sie sagte, sie würde das Kind nehmen. Wir nannten sie Hermiona, nach unserer verstorbenen Tochter.« Er lächelte und warf dem Mädchen einen Blick zu. »Es waren die glücklichsten zwölf Jahre unseres Lebens. Und nun ist alles zu Ende.«
    »Was ist passiert, Herr …«
    »Richard Ackermann. Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit, bitte.«
    »Das gilt auch für mich, Herr Ackermann. Mein Name ist Agáta Abrhámová.«
    Sie schwiegen eine Weile. Nur das Feuer knisterte im alten Holzofen.
    »Sie fragten, was passiert sei«, fuhr er schließlich fort. »Nun, vor ein paar Tagen kam eine Frau zu uns. Erst fragte sie nach alten Singer-Nähmaschinen, sie sagte, sie kaufe sie auf für ein Antiquitätengeschäft in Prag. Die Maschinen seien sehr gefragt. Wir haben nur wenig Geld, wie Sie sich denken können«, er ließ seinen Blick durch die karge Küche schweifen, »Hana hat ihr ihre alte Maschine verkauft.« Er schwieg eine Weile. »Dann erkundigte sich die Frau plötzlich nach ihrem Kind, das angeblich bei der Geburt gestorben war. Sie war bei dem Arzt gewesen, warum, weiß ich nicht – vielleicht auch wegen der Nähmaschinen. Er war sehr krank, ist inzwischen gestorben, und er hat sie zu Hana geschickt. Ich weiß nicht, warum er das getan hat. Vielleicht das schlechte Gewissen, das einem Menschen am Ende seines Lebens zu schaffen machen kann.« Er seufzte. »Hana wollte Hermiona um keinen Preis verlieren, sie stritt alles ab. Die Frau war lange hier. Irgendwann kam Hana zu mir auf den Dachboden. Sie war völlig verstört. Die Frau war ohnmächtig geworden. Ich lief mit ihr hinunter, sie war tot. Sie können es mir glauben oder auch nicht – ich weiß nicht, was hier unten vorgefallen ist, Hana wollte es mir nicht sagen. Aber sie war völlig außer sich. Sie hatte furchtbare Angst, dass nun alles herauskommen würde. Dass wir Hermiona verlieren würden, dass man mich einsperren würde …« Er stützte das Gesicht in die Hände.
    »Dann kam Gustav Mottl mit Martin «, sagte Hermiona, als der alte Mann nicht fortfuhr. »Und sie haben Děda geholfen. Sie haben die Frau weggebracht. In ihrem Wagen.«
    »Martin Trojan?«, fragte Agáta.
    Hermiona zuckte die Schultern. »Oder Viktor. Oder wie auch immer.«
    »Woher kanntest du diesen Martin?«
    »Ich habe ihn bei Gustav Mottl gesehen. Er hatte schöne schwarze Kugeln dabei, wie Tennisbälle. Er hat sie Gustav gezeigt.«
    »Warst du dabei?«
    Hermiona schüttelte den Kopf. »Ich habe sie durch das Fenster gesehen. Und auch gehört, es stand ein bisschen offen. Ich wollte Gustav besuchen. Aber ich bin

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