Reinen Herzens
Gesellschaft. Du übersetzt für ihn, und er gibt den Beschützer der lieblichen Unschuld.« Er grinste und warf die Visitenkarte des Reporters von der BBC vor sie auf den Schreibtisch.
Larissa ignorierte die anzügliche Bemerkung. »Ein Gerücht? Du schickst mich wegen eines Gerüchts da hin?«, fragte sie empört. »Ich soll auf gut Glück in einem Wespennest herumstochern?« Sie stand verärgert auf und ging zur Tür. Die Visitenkarte ließ sie liegen. Der Typ würde ihr dort ohnehin über den Weg laufen. Der feste Vertrag ist es wert, versuchte sie, sich selbst zu überzeugen. Sie war sich nicht sicher. Aber Steve hatte gewonnen. Sie würde fahren. Sie wollte weg – egal wohin, nur weg.
»Das machst du doch am liebsten. Wespennester sind deine Spezialität!«
»Durchaus, aber nur die süße Variante«, erwiderte sie und spielte damit auf ein böhmisches Gebäck dieses Namens an. »Und wann soll es losgehen, in den Wilden Westen?«, fragte Larissa und drehte sich noch einmal in der Tür um.
»Du fährst morgen früh. Das Zugticket liegt vorn am Empfang. Und ein Zimmer in der Pension Zum Henker in Cheb ist auch schon reserviert. Ach ja, du gehst auf Dienstreise, vergiss also nicht, Rechnungen zu sammeln. Have fun, Sweetie .« Steve zwinkerte ihr zu.
Larissa verdrehte die Augen und warf theatralisch die Arme hoch. »Natürlich! Alles schon fix und fertig organisiert, bevor ich auch nur gefragt wurde. – Was habe ich dir getan, Steve?!«
»Gar nichts – im Gegenteil. Du bist einfach die Beste.«
7
Fantazie je otáskou do pranice /
fantazie zadělává na problém.
Fantasie ist polemisch /
Fantasie ist problematisch.
Magdalena Axamit, forensische Pathologin am Gerichtsmedizinischen Institut der Prager Uni-Klinik in den Weinbergen, öffnete entschlossen das Kühlfach Nummer 4 und zog die Bahre heraus. Sie schlug das weiße Tuch zurück und betrachtete das kümmerliche Stück Mensch, das vor ihr lag. Sie warf einen Blick auf die Karteikarte, die sie in der Hand hielt. Der Hund eines Spaziergängers hatte im vergangenen Sommer während des Hochwassers am Ufer der Moldau ein menschliches Bein gefunden. Nur das Bein, sonst nichts. Sie war vorhin beim Stöbern im elektronischen Archiv des Instituts darauf gestoßen. Ihre Arbeit für den Tag war erledigt, und es wäre eigentlich längst an der Zeit, nach Hause zu gehen. Nach Hause in ihre Wohnung über dem Friedensplatz in den Weinbergen. Nach Hause in die leere Wohnung, in der die Erinnerung darauf wartete, sie zu verschlingen. Sie wollte nicht nach Hause. Und sie wollte auch nicht ins Ráj gehen, ihr gemütliches Lokal in den Weinbergen. Seit diesem schrecklichen Abend vor kaum einer Woche verbrachte sie sowieso fast ihre gesamte Freizeit im Lokal. Sie hatte sogar wieder angefangen, der Köchin zur Hand zu gehen. Aber heute hatte sie zum Kochen keine Lust. Also war sie am Computer sitzen geblieben und hatte im Archiv gestöbert auf der Suche nach unerledigten Fällen, nach einem Grund, nicht nach Hause gehen zu müssen – und dabei hatte sie dieses herrenlose Bein entdeckt. Wahrscheinlich weiblich , stand auf dem Blatt, das sie in der Hand hielt, Alter zwischen dreißig und fünfzig, unfachmännische Abtrennung am Oberschenkel . Das war alles, außer der Unterschrift des verantwortlichen Pathologen: Dr. Václav Černý. Es war, nach dem Datum zu urteilen, der letzte Fall des ehemaligen Chefs der Gerichtsmedizin gewesen, bevor er so plötzlich das Institut verlassen hatte, nach dem Fund der Mumie in der Metro im Sommer. Deshalb waren die Informationen wohl auch so rudimentär geblieben. Offenbar war das herrenlose Bein über dem Weggang des Chefs in Vergessenheit geraten. Sie stand eine Weile unschlüssig da, überlegte, was sie damit anfangen sollte. Sie konnte es in das Kühlfach zurückschieben und vergessen, zurück in ihr Büro gehen und nach anderen ungelösten Fällen suchen. Oder nach Hause gehen, sich einen Tee kochen und mit ihrer Verzweiflung, ihren Erinnerungen und ihrer Einsamkeit kämpfen – nein, keine gute Idee. Sie wollte nicht nach Hause. Wollte nicht allein sein mit ihrer Trauer und der Leere, die sich in ihrem Inneren eingenistet hatte, seit Otakar Nebeský ihr von Davids Tod erzählt hatte. Seit jenem Abend dehnte sich die Zeit wie Kaugummi. Magda konnte es nicht ertragen, alleine zu Hause zu sitzen und nachzudenken. Sie wollte nicht darüber sprechen, niemandem davon erzählen. Weshalb, konnte sie sich selbst nicht genau erklären.
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