Reinen Herzens
durchgeführt wurde. Ich … ich habe noch nicht gefragt.« Es war ihm peinlich, aber er hatte es nicht fertiggebracht. Was waren sie doch alle für Feiglinge, dachte er. Als hätten sie nicht täglich mit Mord und Totschlag zu tun. Aber es war etwas ganz anderes, wenn das Opfer ein Freund war.
»Ich habe deswegen heute den halben Tag am Telefon verbracht«, ließ sich Jarda vernehmen. »Der Oberst hat sich verleugnen lassen, und sein Adlatus sagte, die Sache sei erledigt. Freunde, es ist was faul im Staate Dänemark – wenn ihr versteht, was ich meine. Also hab ich weitertelefoniert.«
»Spuck’s aus, Mann«, sagte Ota. »Wo ist die Perle?«
»Ich habe einen Obduktionsbericht. Sie haben es im Militärkrankenhaus gemacht. Eine Sekretärin hat ihn mir gefaxt. Also gibt es leider keine Fotos, aber die kriege ich auch noch.« Er grinste. »Ich hoffe, sie kriegt nicht allzu viel Ärger deswegen. Ich hatte mit dem Chef dort gesprochen, aber der wollte ebenso wenig sagen wie unser Oberst. Dieser Dr. Katz scheint mir nicht ganz koscher. Also habe ich noch mal angerufen und der Sekretärin die Story vom Pferd erzählt – ich hätte vergessen, ihrem Chef meine Faxnummer zu geben, aber da sie ja am Ende für das Faxen zuständig sein würde … na, egal. Hier ist er jedenfalls.« Er holte ein gefaltetes Blatt aus seiner Sakkotasche und reichte es Jirka. »Was hältst du davon?«
Magda beugte sich zu Jirka hinüber und las mit. Tod durch Erschießen … Steckschuss im Herzen … Sie riss ihm das Blatt aus der Hand. Bilder schossen ihr durch den Kopf – David auf dem Boden … sie kniet neben ihm … Blut auf seinem Gesicht … kein Puls … sie reißt seinen Mantel auf … das Jackett reißt mit auf … Blut – ja, aber knapp unterhalb der Schulter.
»Was hast du?«
»Das war keine Schusswunde ins Herz, Jirka.« Sie ließ das Blatt sinken, sah nachdenklich durch ihn hindurch.
Jirka griff nach dem Blatt und überflog es. »Er hatte keine Schusswunde?«
»Doch, das schon. Aber ein ganzes Stück höher. In der Herzgegend war nichts, kein Blut, keine Wunde. Ich habe seine Kleider aufgerissen, er hatte keinen Puls, ich wollte eine Herzmassage machen. Da war kein Blut über dem Herzen, nur …«
»Ich denke, du erinnerst dich an nichts?«, fragte Ota nun. »Woher weißt du das dann so genau?«
Magda ignorierte seine Frage. »Wer hat die Obduktion gemacht?«
» Nur was, Magda?«
»Bitte?«
»Du sagtest, das sei kein Blut gewesen, nur … Was war da?«
»Nur ein Fleck, wie ein entstehender Bluterguss. Ein bläulicher Schatten.«
»Ein blauer Fleck? Komisch …« Jarda schwieg nachdenklich.
Magda wiederholte ihre Frage nach dem Obduzenten.
»Äh … ein Dr. F. Benda, steht hier. Kenne ich nicht. Du?«
Sie schüttelte den Kopf. Seltsam, dachte sie, sie kannte alle Rechtsmediziner in Prag wenigstens dem Namen nach, immerhin gab es nicht so viele davon.
»Was haben Sie noch gesehen, Magda?«, fragte Jarda Vltavský. »Können Sie sich noch an irgendetwas erinnern?« Seine Stimme hatte einen eigenartigen Klang.
Ota setzte an, um etwas zu sagen, aber Jarda brachte ihn mit einer Geste davon ab. Magda versuchte, die Bilder heraufzubeschwören, die hinter diesem dunklen Nebel in ihrem Gedächtnis verborgen waren. Versuchte, sich zu erinnern, ohne die Bilder zu zwingen. Als wolltest du meditieren, dachte sie, mach den Kopf leer. Der Hauseingang … das Treppenhaus … ihr vergessenes Handy … David auf dem Boden im Schnee … draußen auf dem Bürgersteig etwas auf dem Boden … ein Schatten, flüchtig wie ein Geist …
»Da war jemand«, sagte sie zögernd, »jemand oder etwas – ich bin mir nicht sicher. Etwas lag auf dem Bürgersteig – ein dunkler Haufen … vielleicht eine große Tasche oder so was, keine Ahnung, was es war.« Sie sah Ota an. »Und dann hatte ich den Eindruck, da wäre ein Schatten …«
»Was für ein Schatten?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Als hätte sich rechts hinter mir etwas bewegt.« Sie runzelte die Stirn. Da war noch etwas, etwas, das ihr eingefallen war, als sie vorhin an dem Bein gearbeitet hatte. Ein Geruch. »Und ich habe etwas gerochen«, sagte sie zögernd, »als ich versuchte, David wiederzubeleben, habe ich hinter mir etwas gerochen – Schweiß und Naphthalin und noch etwas, das ich im Moment nicht recht zuordnen kann.«
Ota stieß einen Pfiff aus. »Na, die Mottenkugeln passen vielleicht zu dem Schatten – ein eingemotteter Geist auf Freigang. War
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