Reinen Herzens
verfügbaren Datenbanken nachgesehen«, unterbrach Ota sie, »rück endlich mit der ganzen Sache raus, du elender Geheimniskrämer.« Er zündete sich eine weitere Zigarette an.
Jarda nickte. »Es hat eine Weile gedauert, aber ich habe tatsächlich eine Übereinstimmung gefunden. Die Frau heißt Eva Urbanová.«
9
Nejsi sam. NIKDY .
Du bist nicht allein. NIE .
Das silberne Licht des Vollmonds schimmerte durch eine Wolke, die wie ein zarter Wattefetzen am klaren, blauschwarzen Himmel hing. Die zahllosen Sterne funkelten wie winzige Diamanten. Einer davon bewegte sich. Vermutlich ein Flugzeug – auf dem Weg von Irgendwo nach Anderswo. Die Bäume begannen sich hin und her zu wiegen und schienen rasend schnell in den Himmel zu wachsen, während er sie betrachtete. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass der Himmel sich mit Wolken zuzog. Schwere schwarze Wolken, getrieben vom Westwind. Es würde bald anfangen zu schneien. Er atmete tief die kalte Luft ein. Sie roch nach Schnee und feuchtem Holz. Er schritt lautlos durch den glitzernden Pulverschnee. Im Unterholz zu seiner Rechten raschelte etwas. Ein Hase? Womöglich ein Fuchs? Er warf einen Blick auf seine Uhr – halb elf. Nicht gerade die typische Zeit für einen Waldspaziergang. Aber er war ja auch nicht zu seinem Vergnügen hier. Irgendwo über sich hörte er das dunkle Uhuuu einer Eule. Verdammte Jagdzeit. Er schob den Riemen des Gewehrs zurecht und straffte die kräftigen Schultern. So leise wie möglich ging er weiter, um keine weiteren Tiere zu verschrecken. Aber er war ohnehin auf andere, viel größere Beute aus. Er freute sich nicht auf diese besonderen Jagdausflüge, sie waren ihm zutiefst zuwider. Aber irgendjemand musste ja etwas tun, wenn die Polizei beide Augen schloss und ihre Hände in Unschuld wusch. Irgendwann würde alles auffliegen, es war nur eine Frage der Zeit. Der Inspektor hatte ihn im Visier. Sein letzter Besuch hatte das überdeutlich gemacht. Am nächsten Tag hatte er den Anruf gemacht, über den er schon seit Wochen nachgedacht hatte. Diesmal wollte er alles erzählen, nicht nur kryptische Andeutungen machen. Er hatte ihn nicht erreicht. Er sollte es noch mal versuchen. Vielleicht konnte der Junge helfen. Bis dahin war er weiter auf sich allein gestellt. Er warf erneut einen Blick auf seine Uhr. Bald war es wieder so weit.
Es war gespenstisch still. Vor ihm schimmerte eine große weiße Fläche durch die Bäume. Und dort, im Dickicht, zwischen drei dicke Tannen genagelt, war auch das, was er suchte: ein mehr schlecht als recht zusammengezimmerter Jägerstand mit einer langen, schmalen Schießscharte, die auf die Lichtung hinausging. Er schwebte in gut zwei Metern Höhe über dem Unterholz. Er ging um die vereiste Leiter herum und versteckte sich im Dickicht unter dem ungewöhnlichen Hochsitz. Das Gewehr lehnte er vorsichtig gegen einen der Baumstämme. Er strich sich eine widerspenstige graue Haarsträhne aus dem Gesicht und rückte seine Brille zurecht. Vor ihm lag eine große mondbeschienene Lichtung wie ein weißer See, auf allen Seiten umgeben vom dunklen Wald. Keine zwanzig Meter hinter den Bäumen auf der anderen Seite der Lichtung lag ein echter See. Durch die Bäume schimmerte die ruhige Wasserfläche. Im Sommer war es schon immer ein beliebter Ort für romantische Stunden gewesen, doch inzwischen hatten Freier und Nutten ihn rund ums Jahr für sich eingenommen. Liebespaare hatte er schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Stille. Ruhe. Nur der Wind rauschte in den Wipfeln. Weit und breit weder Mensch noch Tier. Er holte ein schmales Buch aus seiner Anoraktasche und schlug es auf. Es war ein seltsamer kleiner Band, den er vor Kurzem in einer Buchhandlung in Franzensbad erstanden hatte – eigentlich nur, weil ihn der Text auf der schmalen Banderole gefangen genommen hatte: Gesucht wird: Der Autor dieses Buches – Wie starb der Messerwerfer? Dabei stand der Name des Autors über dem Titel, es war ein gewisser Solo Lovec. Auch der Name hatte ihn angesprochen: Einsamer Jäger. Ein Seelenverwandter offenbar. Doch die Welt, die er darin in kurzen, auf den ersten Blick fast zusammenhanglosen Sätzen beschrieben fand, war ihm zutiefst fremd. Je länger er aber darin las, um so mehr verwoben sich die kurzen Absätze zu einer Art minimalistischem Tagebuch. Einträge voller Düsternis und Leidenschaft, die er in dieser Form nie kennengelernt hatte. Noch schien der Mond hell durch einen letzten Spalt zwischen den Wolken, und sein
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