Reinen Herzens
Nervenkrankheit handelte – sie führte unweigerlich zu unkontrollierten Bewegungen und Demenz und schließlich in geistiger Umnachtung innerhalb weniger Jahre zum Tod. Eine Therapie gab es nicht. Nur die Diagnose. Gesehen hatte sie einen solchen Patienten selbst nie. Die Krankheit war selten und dominant erblich. Sie dachte an das ungeborene Kind. Die Chance, dass es eines Tages auch an dieser Krankheit leiden und daran sterben würde, stand fifty-fifty. Wenn es das mutierte Gen geerbt hatte, würde es krank werden, daran führte kein Weg vorbei. Wie erklärt man einem Kind, dass so ein Damoklesschwert über seinem Leben hängt und eines Tages unabwendbar und unbarmherzig fallen wird?
»Keine Ahnung«, unterbrach Jirka ihre Gedanken. »Sie behauptete, sie habe erst am Tag, bevor sie David anrief, von der Schwangerschaft erfahren. Sie sagte, sie wolle kein Kind. Aber für eine Abtreibung war es zu spät. Jedenfalls für eine legale. Vielleicht hat das Kind ja Glück und trägt das Gen nicht.«
»Und was sagte David zu all dem?«, fragte Magda matt.
»Er wollte sich seiner Verantwortung stellen, wenn sich denn herausstellen sollte, dass es sein Kind ist.«
»Er wollte sie heiraten?« Was für ein Lügner! Und im Wagen hatte er noch behauptet, er liebe sie. Sie hatte also doch recht gehabt mit ihrer Einschätzung – es war mehr gewesen als nur eine Nacht. Vermutlich hatte er die Beziehung zu dieser Frau nie beendet … Wenn ich dich in die Finger kriege, David, dachte sie erbost, ob tot oder lebendig – dann gnade dir Gott oder wer auch immer.
»Nein, nein – ich meine damit, er wollte alles auf seine Kappe nehmen, das Kind, meine ich, sie wollte es ja um nichts in der Welt haben. Er sagte, er würde das schon irgendwie hinkriegen.« Jirkas Stimme drückte deutlichen Zweifel aus. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie das gehen sollte, bei Davids Arbeitszeiten. Aber diese Frage hatte sich wohl erledigt – außer natürlich, es stellte sich heraus, dass David sehr wohl noch am Leben war. Er beobachtete Magdas Reaktion aufmerksam. Sie schien vor Wut fast zu platzen. Offensichtlich glaubte sie keine Sekunde lang an die Geschichte von der einen Nacht. Ihm selbst war sie nicht so abwegig erschienen. So gut wie jeder Mann hatte solche Leichen im Keller, wie er aus eigener Erfahrung wusste, und was seiner Meinung nach nicht weiter tragisch war. Doch Magda schien es nicht glauben zu wollen. Wenn sie dich lebendig in die Finger kriegt, mein lieber Freund und Kupferstecher, dachte er, dann wirst du womöglich wünschen, Eva hätte mit ihrem Spielzeugrevolver ins Schwarze getroffen. Vielleicht, schoss es ihm durch den Kopf, würde sie David wegen dieser Sache doch in die Wüste schicken – immer vorausgesetzt, sie würden ihn lebend irgendwo finden – und dann … Dann sehen wir weiter, bremste er seine Gedanken.
Magda sah ihn skeptisch an. »Du hast gesagt, er sei sich nicht sicher gewesen, ob er wirklich der Vater ist. Warum sollte er sich so weit aus dem Fenster hängen, zumal einer Frau gegenüber, mit der er angeblich nur eine Nacht verbracht hatte? Das ist doch alles Humbug.« Oder doch nicht, meldete sich eine zaghafte Stimme in ihrem Inneren. Hatte er sie im Auto doch nicht angelogen? Würde ein Mann allen Ernstes so etwas anbieten? Gab es so viel geballten Anstand überhaupt? Das hörte sich zu gut an, um wahr zu sein. Doch ein Zweifel blieb. Verwechselte sie David nicht gerade mit jemand anderem? Sie biss sich ertappt auf die Lippen. Vincent. Vincent, ihr Exmann, würde lügen und verschleiern, dass sich die Balken bogen, um sich aus so einer Situation herauszuwinden. Hatte sie nicht tagelang auf ihn einreden müssen, damit er sich seiner Verantwortung stellte und seine schwangere Freundin heiratete? Aber das war Vincent. David war aus anderem Holz geschnitzt. So wie David tickte, würde er selbstverständlich anbieten, das Kind zu sich zu nehmen. Sie hatte ihm unrecht getan, indem sie unbewusst von Vincent auf David geschlossen hatte. Glücklicherweise hatte sie nichts davon laut geäußert – oder jedenfalls fast nichts. »Andererseits – David war – ist … äh … ein sehr verantwortungsvoller Mann. Also – lassen wir es gut sein. Wenn wir ihn finden, wird sich sicher alles klären.«
»Hm, tja – und jetzt?«, fragte Jirka und hoffte, dass dieses unschöne Thema damit endgültig erledigt war. Sie waren über dieser alten Sache noch nicht dazu gekommen zu überlegen, was sie nun
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