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Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken

Titel: Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yannik Mahr
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trotzdem einfach die nächstbeste Tür aufriss, war die Zugbegleiterin nicht mehr zu halten. Ob er wahnsinnig geworden sei, schrie sie und machte die Tür wieder zu. Das sei lebensgefährlich! Er, sie, wir alle könnten von einem vorbeirasenden Zug erst angesogen und dann mitgerissen werden.
    „Wenigstens bekämen wir dann wieder Luft!“, schrien wir zurück.
    Das war im Sommer.
    Im Winter gab es das gleiche Spiel noch mal. Nun war es – ein Wunder! – kalt, und statt der Klimaanlage fiel die Heizung aus. Weil ich dieses Mal, das nächste Wunder, nicht dabei war, muss ich auf die Schilderungen einer lokalen Tageszeitung, des Weser-Kuriers aus Bremen, zurückgreifen. Dort hieß es: „Wegen eines Stromausfalls waren Reisende in einem Regionalexpress zwischen Hamburg und Lübeck stundenlang eingeschlossen. (…) Als die Batterien des Zuges gänzlich leer waren, saßen die Reisenden im Dunkeln in unbeheizten Abteilen. Durchsagen des Personals waren nicht mehr möglich. Aus Sicherheitsgründen blieben die Zugtüren geschlossen. Einige Fahrgäste hatten Panik, weinten, schlugen die Fenster ein, um aus dem Zug zu gelangen.“ [2] Schließlich wurden sie von der Feuerwehr befreit und vom Katastrophenschutz in einer Turnhalle versorgt. „Die Bahn hat eigentlich nur zwei Probleme“, war kurz darauf in einer anderen Zeitung zu lesen. „Sommer und Winter.“
    Was nun nicht heißt, dass im Frühling und Herbst alles reibungslos laufen würde und die Kunden sich entspannen könnten. Wenn die natürlichen Feinde Kälte und Hitze, Sonne und Eis ausfallen, bleibt immer noch die Betriebsstörung. Das ist vielleicht der umfassendste Sammelbegriff in der neueren deutschen Geschichte, und es würde mich nicht wundern, wenn demnächst ein Lexikon „Betriebsstörung – Deutsch, Deutsch – Betriebsstörung“ erschiene. Es ist erstaunlich, was sich hinter diesem Wort alles verbirgt, das den Bahnmitarbeitern so flüssig von den Lippen geht wie sonst nur „Zurückbleiben, bitte!“.
    Lassen Sie mich deswegen zum Schluss dieses Kapitels eine kleine Betriebsstörungsgeschichte erzählen. Ich weiß, dass jeder von Ihnen mindestens eine weitere kennt, aber was Sie jetzt lesen, wird auch für Sie neu sein.
    Es war einmal mehr auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Die automatische Stimme quakte etwas von Verspätung wegen einer Betriebsstörung , und weil es warm war (aber nicht so warm, dass die Klimaanlagen auszufallen drohten), war ich aus meinem Waggon wieder ausgestiegen und hatte mich an den Bahnsteig gestellt. Mir war langweilig, und auf die in meinem Abteil bereits entbrannten „Die Bahn mal wieder“-Dialoge hatte ich keine Lust.
    So stand ich also am Gleis 14, sah auf der Anzeigetafel eine Verspätung von 10 Minuten aufblinken, obwohl wir schon vor 15 Minuten hätten losfahren müssen, und fragte mich, warum es eigentlich keine TV-Show zum Thema Bahn und Betriebsstörungen gab. Ein paar Titel wären mir auf Anhieb eingefallen: „Winter in vollen Zügen“ oder „Wagentausch“ oder „Deutschland sucht den pünktlichen IC“.
    Ich war so in Gedanken versunken, dass mich fast ein Mann umgerannt hätte, der wie ein Irrer auf den Triebwagen zurannte. Der Anfänger, dachte ich mir. Sieht er denn nicht, dass hier nichts geht?
    „Da bist du ja, Heiner!“, rief der Zugbegleiter, der wenige Meter hinter mir gestanden und den Wartenden erklärt hatte, dass etwas mit der Lokomotive nicht stimme. „Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“
    „Scheiße“, sagte Heiner. „Ich hab verschlafen. Sag’s bloß niemandem, Rudi.“
    „Keine Sorge, mein Lieber, wir haben auf Betriebsstörung gemacht. Eine mehr oder weniger fällt eh nicht auf. Und irgendwie war ja auch was mit dem Triebwagen nicht in Ordnung.“
    Wohl wahr: Der Lokführer fehlte.

Wenn erwachsene Menschen
Automaten anschreien

    Von der Bahn zur nächsten deutschen Schwachstelle ist es nur ein kleiner Schritt: Wir Deutschen haben ein Problem mit Automaten.
    Das beginnt bei der Post. Unvergessen, wie Herr Müller-Hohenstein sich für seine Steuerklärung eine 55-Cent-Briefmarke aus dem Automaten ziehen wollte, aber nur zwei Euro dabei hatte. Er schimpfte eine Woche lang darüber, dass die Maschine kein Wechselgeld, sondern den Restbetrag in weiteren Briefmarken ausgespuckt hatte. „So viele Steuererklärungen muss ich doch gar nicht mehr wegschicken!“, jammerte Herr Müller-Hohenstein und gab erst wieder Ruhe, als unsere Sekretärin ihm die Marken abgekauft hatte. Seitdem

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