Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
Abteil? Gang? Fenster? Bezahlen: Bargeld, Kreditkarten, EC? Ein Albtraum.
Die Bahn tat, was sie konnte. Sie löste die Einheit von Fahrkartenbuchung und Fahrkartenzahlung auf. Für beides gab es zwischenzeitlich zwei Automatentypen, was das Chaos perfekt und menschliche Automatenerklärer nötig machte. Also nahm die Bahn die Aufteilung wieder zurück und ließ Geräte aufstellen, an deren Bedienungsweise sich selbst ein durchschnittlich begabter Passagier nach einigen Wochen Einarbeitung gewöhnen konnte. Eine Versöhnung zwischen Mensch und Maschine stand kurz bevor, als das Unternehmen von einem Tag auf den anderen und ohne Vorwarnung das komplette System erneut änderte. Nichts war mehr, wie es war. Auf einmal maßte sich der Automat sogar an, dem Fahrgast häufig genutzte Verbindungen zur Auswahl zu stellen.
In meinem Fall war das Hamburg-Weimar, eine Strecke, die ich in den vergangenen drei Jahren genau einmal zurückgelegt habe. Hamburg-Berlin, gefühlte 200 Mal bereist, tauchte dagegen in meinen Top-Fünf überhaupt nicht auf. Dafür fragt der Automat jetzt jedes Mal, ob ich einen Sitzplatz reservieren will, obwohl ich das noch nie gemacht habe.
Ich brauche inzwischen doppelt so lange für den Kauf einer Fahrtkarte wie beim alten System, bin der Bahn aber trotzdem dankbar für das neue. Denn dadurch sind so viele Fahrgäste abgeschreckt worden, dass sich die Wartezeiten vor den Automaten deutlich reduziert haben. Es sei denn, man hat einen renitenten 80-Jährigen vor sich, der selbst nach 20 gescheiterten Versuchen nicht bereit ist, den Platz vor dem Bildschirm zu räumen. Am Ende des Tages stellte aber auch er sich brav dort hin, wo in einer Automatenrepublik wie der deutschen eigentlich niemand mehr stehen sollte: in die Schlange vor den wenigen verbliebenen Schaltern, an deren Ende immer zu wenige Bahnmitarbeiter sitzen.
Nicht vergessen: Die Wartemarken gibt es an den kleinen Automaten am Eingang …
Mein Italiener, mein Grieche, mein Chinese
Wenn es ums Essen geht, sind die Deutschen ziemlich besitzergreifend, um nicht zu sagen kolonialistisch. Den Inhaber des netten Restaurants um die Ecke nennen sie „meinen Italiener“ oder „meinen Griechen“, und wehe, wenn der seine Gäste nicht auf landestypische Weise („Ciao, Karl-Heinz!“) begrüßt und mit einem kostenlosen Digestif verabschiedet („Eine Ouzo auf Haus?“). Dann kann der Stammkunde schon mal demonstrativ die Rechnung nur bis zum nächsten vollen Betrag aufrunden, statt wie gewohnt satte zwei Euro Trinkgeld zu geben.
„Unser“ Grieche muss so sein, wie wir uns einen Griechen vorstellen (also eine Mischung aus Sokrates, Alexis Sorbas und Otto Rehhagel); „unser“ Chinese darf alles, nur nicht die Gerichte servieren, die er selbst normalerweise essen würde. Und „unser“ Italiener? Von dem erwarten wir, dass er mindestens so gut aussieht wie Eros Ramazzotti und so lustig Deutsch spricht wie Giovanni Trapattoni. Capito? Alles andere sorgt für Irritationen, in der folgenden kleinen Geschichte zum Beispiel bei meiner Frau und mir.
Nachdem unser Stammitaliener trotz lauten Wehklagens und Protestbriefen der gesamten Kund- und Nachbarschaft beschlossen hatte, in das Dorf seiner Kindheit zurückzukehren, um dort seinen Lebensabend zu verbringen (er war noch nicht mal 75!), hatten wir nach mehreren Monaten Pastaentzug endlich ein neues Restaurant ausfindig gemacht. Drei Straßen weiter, etwas teurer, aber sehr, sehr gut.
Erleichtert gingen wir in der ersten Woche gleich drei Mal hin. Nach zwei Monaten begrüßte der Wirt uns mit Vornamen, nach dreien erhielten wir immer den gleichen Tisch. Wir hätten glücklich sein können, wenn die Sache mit der Sprache nicht gewesen wäre. „Unser“ Italiener sprach ein breiteres Hamburgisch als ich, und das war eigentlich unmöglich.
„Ich glaube, der ist gar kein Italiener“, flüsterte meine Frau mir zu, als sie einmal mehr ein sensationelles Thunfischsteak gegessen hatte.
„Was meinst du?“, fragte ich, mit den Resten meines Gemüse-Risottos beschäftigt. Da war es schon zu spät. Meine Frau hatte unseren Italiener auf dem Rückweg in die Küche abgefangen. Sie hielt ihn am Ärmel fest, während sie die alles entscheidende Frage stellte: „Sag mal, Francesco, du bist gar kein Italiener, oder?“
Danach war die Hölle los. Francesco riss einen freien Stuhl vom Nachbartisch, setzte sich zwischen meine Frau und mich und sah uns an, als würde er uns am liebsten den Rest des Jahres
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