Reinlich & kleinlich?! - wie die Deutschen ticken
zum Tellerspülen wegsperren.
Das sei wieder einmal typisch deutsch, schimpfte er los, und was uns einfallen würde. Ständig würden wir von den „lieben ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern“ verlangen, dass sie sich integrieren, die deutsche Sprache sprechen und möglichst viel Steuern zahlen. Aber wehe, wenn der Kellner im Stammlokal nicht das Kauderwelsch brabbelt, unter dem wir uns Italienisch vorstellen. „Glaubt ihr echt, dass wir so sprechen? Wolle Grappa auffe Haus, mein Freund? Prego, Signori, Pasta alla Mario? Das machen wir nur, weil es in eurem Folklore-Staat gut fürs Geschäft ist. Und weil ihr so leicht zu überzeugen seid. Der Koch kann den letzten Scheiß zusammenrühren, euch schmeckt’s, wenn er einmal ‚Flasche leer’ durch den Raum ruft.“
Wir brauchten eine volle Flasche besten Rotweins, um Francesco zu beruhigen, und mussten schwören, niemals zu versuchen, mit ihm Italienisch zu sprechen. Weil er aus Sizilien stammt, und weil er wirklich so gut kocht wie niemand sonst in der näheren Umgebung, haben wir uns daran gehalten.
Wie groß die Bedeutung ausländischer Restaurants für das Leben in Deutschland insgesamt geworden ist, zeigt, dass es zu dem Thema sogar eine Habilitationsschrift gibt. Die Geschichtswissenschaftlerin Maren Möhring hat über das Thema Ausländische Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland geforscht und dabei unter anderem herausgefunden, was eigentlich aus der sogenannten Balkangastronomie geworden ist.
In den Siebzigerjahren war „der Jugoslawe“ für „den Italiener“ ein ernst zu nehmender Konkurrent. Dann löste sich nicht nur sein Heimatland in die Bestandteile auf, gleichzeitig verschwand auch das Interesse der Deutschen an den opulenten Fleischplatten. Die Bekanntheit der kroatischen und serbischen, aber auch der österreichischen und ungarischen Gerichte habe sich für die entsprechenden Restaurants spätestens in den Achtzigerjahren zu einem Nachteil entwickelt, hat Frau Möhring herausgefunden. Die Deutschen hatten genug von Küchen, die ihrer eigenen sehr nahekamen, sie wollten etwas Neues. Der Aufstieg von Spaniern, Thailändern, Japaner und Vietnamesen begann.
Die Befürchtungen der deutschen Gastronomen, von den ausländischen Restaurantbesitzern wenn nicht ver-, dann zumindest an den Rand gedrängt zu werden, haben sich längst bewahrheitet. Bestes Beispiel sind die rund 15000 Dönerbuden, die es heute in Deutschland gibt. Sie strafen jeden Tag mit hunderten Tonnen verkauften Fleisches die Sarrazins unserer Zeit Lügen, die behaupten, Integration würde nicht funktionieren. In einer pappigen Brottasche geht das prima.
Getrennt (bitte)!
Gutes Benehmen fällt den Deutschen aus unerklärlichen Gründen nicht so leicht wie Pfandflaschensammeln, und leider werden sie nicht müde, das gerade bei Restaurantbesuchen immer wieder unter Beweis zu stellen.
Der hungrige Bundesbürger neigt, insbesondere mit zunehmendem Alter, dazu, die Bedienung ähnlich zu behandeln wie ein Offizier die jungen Soldaten in der Grundausbildung. Ein gebelltes „Wir würden gern bestellen!“, kaum dass der Gast Platz genommen hat, ist noch die höflichste Form der Kontaktaufnahme. Nicht wenige belassen es bei einer drohenden Geste, einem kurzen Fingerschnippen oder dem unvermeidlichen „Fräulein/Ober!“, und die Schlimmsten bellen dann kurze Befehle: „Zwei Bier, eine Cola ohne Eis, Wiener Schnitzel, Jäger, drei Mal Pommes, Apfelschorle!“
An dieser Stelle haben das Fräulein oder der Ober zu nicken und in die Küche zu verschwinden, damit dort auf der Stelle die Bestellungen abgearbeitet werden können. Denn im Hintergrund brüllt der penetrante Gast schon: „Wie lange dauert das noch? Wir haben nicht ewig Zeit!“
Rauschen das Fräulein oder der Ober zehn Minuten später mit heißen Tellern vollbepackt an, ist die Runde um den Oberbefehlshaber nicht wiederzuerkennen. Angesichts einer warmen Mahlzeit vergisst der Deutsche schon mal für einen Moment, was beziehungsweise wer er ist, und wenn ja, wie viele.
„Wiener Schnitzel?“, fragt das Fräulein/der Ober.
„Das bin ich“, sagt der Oberbefehlshaber.
„Jäger?“
„Das bin ich“, sagt seine Frau.
„Pommes und Apfelschorle?“
„Das wird dann wohl unser Sohn sein“, sagen beide, und endlich hat die Identifikation mit den Speisen kafkaeske Züge erreicht. Sollte es eine Beschwerde geben, wird das Fräulein/der Ober in der Küche melden: „Dem Schnitzel haben die Pommes nicht
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