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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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regnen angefangen, Erzsi zog ihren Gummimantel an.
    Der Perser war wütend und ungeduldig.
    »Verflucht noch mal, was machen wir jetzt? Wir stehen hier mitten auf der Landstraße, beziehungsweise ich habe den starken
     Verdacht, daß das nicht einmal eine Landstraße ist.«
    »Da vorn ist doch so etwas wie ein Haus«, sagte János. »Versuchen wir da unser Glück.«
    »So spät in der Nacht? Um diese Zeit schläft auf dem Land schon alles, und wer wach ist, läßt sich nicht mit verdächtigen
     Fremden ein.«
    »Aber dort ist doch Licht«, sagte Erzsi und zeigte auf das Haus.
    »Versuchen wir’s«, sagte János.
    Sie schlossen den Wagen ab und eilten auf das Haus zu. Es befand sich auf einem Hügel, der unten von einer Mauer umgeben war,
     doch das Tor stand offen. Sie gingen hinauf.
    Das Haus schien herrschaftlich, im Dunkeln sah es wie ein Miniatur-Schloß aus, mit Freitreppe und edlen französischen Linien.
     Sie klopften an. Eine alte Bauersfrau streckte den Kopf durch den Türspalt. János trug ihr Anliegen vor.
    »Ich will’s gleich den Herrschaften melden.«
    Bald darauf erschien ein ländlich gekleideter Herr mittleren Alters, der sie gründlich musterte, während János auch ihm die
     Angelegenheit vortrug. Sein Ausdruck milderte sich, und er wurde sehr freundlich.
    »Herzlich willkommen, die Damen und Herren. Treten Sie näher, wir können die Sache drinnen besprechen.«
    |231| Er führte sie in ein altmodisches, nach Jagdschloß aussehendes Zimmer, wo eine Frau am Tisch saß, mit einer Handarbeit beschäftigt.
     Offenbar die Gattin. Der Mann berichtete ihr kurz, was das Problem war, und bat die Gäste, Platz zu nehmen.
    »Ihr Pech ist unser Glück«, sagte die Frau. »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie langweilig die Abende auf dem Land
     sind. Aber in dieser Jahreszeit kann man ja das Gut nicht einfach alleinlassen.«
    Erzsi war irgendwie unbehaglich zumute. Das ganze Schloß schien nicht wirklich, oder es war zu wirklich, wie in einem naturalistischen
     Theaterstück. Die beiden Leute saßen entweder dauernd hier unter der Lampe und warteten – oder sie waren erst in dem Augenblick
     entstanden, als die Reisegesellschaft angeklopft hatte. Erzsi spürte es förmlich an der Hautoberfläche, daß etwas nicht stimmte.
    Es stellte sich heraus, daß das nächste Dorf, wo es vielleicht eine Garage gab, drei Kilometer entfernt war, und daß das gastfreundliche
     Ehepaar niemanden hinschicken konnte, weil das männliche Personal in dieser Nacht auf dem Gutshof schlief.
    »Bleiben Sie doch über Nacht hier«, schlug die Frau vor. »Wir haben genügend Betten für Sie alle.«
    Doch János und der Perser bestanden darauf, daß sie noch in der Nacht nach Paris zurückfahren müßten.
    »Ich werde erwartet«, sagte der Perser, und sein diskretes Lächeln signalisierte, daß es sich um eine Dame handelte.
    »Es bleibt nichts anderes übrig«, sagte János,»einer von uns muß in das Dorf gehen. Drei Kilometer sind ja nicht weit. Selbstverständlich
     gehe ich; ich habe den Riemen kaputtgemacht.«
    »Kommt nicht in Frage«, sagte der Perser, »ich gehe, ihr seid meine Gäste, ich habe die Verantwortung.«
    »Komm, wir losen«, sagte János.
    Das Los entschied, daß János gehen mußte.
    »Bin gleich wieder da«, sagte er und eilte weg.
    Der Hausherr brachte Wein vom eigenen Weinberg. Sie saßen um den Tisch, tranken und plauderten leise, während sie zwischendurch
     dem Regen zuhörten, der an die Scheiben klopfte. |232| Erzsis Unwirklichkeitsgefühl wurde immer stärker. Sie wußte nicht mehr, wovon ihre Gastgeber sprachen. Wahrscheinlich trugen
     sie den eintönigen Verlauf ihres Landlebens vor, auf die gleiche monotone, einschläfernde Weise wie der Regen. Oder vielleicht
     war das Klopfen des Regens so einlullend,oder die Tatsache, daß sie zu niemandem mehr auf der Welt gehörte, daß sie hier am
     Ende der Welt in einem französischen Schloß saß, dessen Namen sie nicht einmal kannte und in das sie vollkommen zufällig geraten
     war, denn genausogut konnte sie am anderen Ende der Welt in einem anderen Schloß sitzen, und auch das wäre ein reiner Zufall.
    Doch dann spürte sie, daß es nicht das war, was sie einlullte, sondern der Blick des Persers, der zuweilen über sie strich.
     Es war ein zärtlicher, warmer, gerührter Blick, ganz anders als die Blicke aus kalten, blauen europäischen Augen. Eine animalische
     Wärme und Sicherheit lag darin. Einlullend. Ja, dieser Mann liebte die Frauen   …

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