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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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schläfriges, schlampiges Dienstmädchen machte auf.
     »Was wollen Sie?« fragte sie.
    |90| Da schien von weit weg jemand herunterzurufen. Das Dienstmädchen dachte nach und sagte eine Weile gar nichts. Dann führte
     sie mich zu einer schmutzigen kleinen Treppe und sagte nach englischer Sitte: ›Gehen Sie einfach geradeaus weiter.‹ Sie selbst
     blieb unten.
    Oben fand ich eine offene Tür und ein dämmriges leeres Zimmer, dessen gegenüberliegende Tür aber in dem Augenblick zugemacht
     wurde, so, als wäre jemand gerade hinausgegangen. Die Anweisung des Dienstmädchens befolgend ging ich geradeaus durch das
     Zimmer und machte die erwähnte Tür wieder auf. Ich trat in ein weiteres halbdunkles, altmodisch geschmackloses, staubiges
     Zimmer, wo niemand war, während wiederum die gegenüberliegende Tür gerade zuging. Ich durchquerte auch dieses Zimmer und betrat
     ein drittes,dann ein viertes. Und jedesmal ging leise eine Tür zu, als gehe mir jemand voran. Im fünften Zimmer schließlich   … nein, ›schließlich‹ ist eine Übertreibung, denn auch da war niemand, aber wenigstens ging keine gegenüberliegende Tür zu.
     Dieses Zimmer hatte bloß die eine Tür, durch die ich eingetreten war. Aber die Person, die mir vorangegangen war, befand sich
     nicht in dem Zimmer.
    Im Zimmer brannte eine Lampe, und an Möbeln waren nur zwei Sessel da. An den Wänden Bilder, Teppiche, allerlei wertloses,
     altmodisches Zeug. Ich setzte mich zögernd in den einen der Sessel und begann zu warten. Und blickte unruhig um mich, denn
     es war mir klar, daß hier seltsame Dinge vor sich gingen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich so saß, aber auf einmal begann mein Herz heftig zu klopfen, denn ich war hinter etwas gekommen,
     das ich die ganze Zeit unbewußt gesucht hatte. Vom ersten Moment an hatte ich gespürt, daß mich in dem Zimmer jemand beobachtete.
     Jetzt wußte ich, aus welcher Richtung. An einer Wand hing ein japanischer Teppich mit Drachen und undefinierbaren Tieren,
     und die Augen der Tiere bestanden aus großen farbigen Glaskugeln. Jetzt sah ich, daß die Augen des einen Tiers keine Glaskugeln
     waren, sondern echte Augen, die mich anschauten. Beziehungsweise, daß hinter dem Teppich jemand stand und mich beobachtete.
    |91| Unter anderen Umständen wäre mir gleich etwas Kriminalromanartiges in den Sinn gekommen, es gibt doch die vielen Geschichten
     von den Fremden, die in London spurlos verschwinden, und diese Geschichte begann genau so, wie man sich den Anfang dazu vorstellt.
     Wie gesagt, es wäre nur natürlich gewesen, wenn ich erschrocken wäre und ein Verbrechen gewittert und mich auf Verteidigung
     eingestellt hätte. Aber es war nicht so. Ich blieb reglos und starr sitzen.Denn jene Augen kamen mir bekannt vor   …«
    »Nein wirklich?«
    »Die Augen gehörten einem Jugendfreund von mir, einem gewissen Tamás Ulpius, der ganz jung unter tragischen und ungeklärten
     Umständen gestorben ist. Und so verging nach ein paar Augenblicken mein Schreck, und eine blasse, gespenstische Freude, ein
     Gespenst der Freude, kam über mich. ›Tamás!‹ rief ich und wollte zu ihm hinlaufen. Doch in dem Moment verschwanden die Augen.«
    »Und dann?«
    »Dann eigentlich nichts mehr. Was danach kam, ist völlig unverständlich. Eine ältere Frau, eine seltsame, altmodische, unsympathische
     Erscheinung mit großen Augen, trat ins Zimmer und fragte mich etwas mit einem völlig ausdruckslosen Gesicht. Ich verstand
     sie nicht, sie sprach nicht englisch. Ich versuchte es mit Französisch, Deutsch, Ungarisch, doch die Frau schüttelte traurig
     den Kopf. Dann sagte sie wieder etwas in der fremden Sprache, diesmal schon lebhafter, dann begann sie mich mit Fragen zu
     bestürmen. Ich horchte krampfhaft, um wenigstens herauszufinden, in welcher Sprache sie redete. Ich habe ein gutes Ohr für
     Sprachen, auch für solche, die ich nicht verstehe, und ich stellte fest, daß die Frau weder eine romanische noch eine germanische
     noch eine slawische Sprache sprach, ja nicht einmal eine finno-ugrische. Und plötzlich war ich ganz sicher, daß nur sie als
     einzige auf der Welt diese Sprache konnte.Warum ich das dachte, weiß ich nicht. Aber ich erschrak so sehr, daß ich aufsprang
     und durch all die Zimmer hindurch zurücklief, aus dem Haus hinaus.«
    »Und die Erklärung?« fragte Ellesley.
    |92| »Ich weiß keine andere Erklärung, als daß es November war. Ich muß aufgrund eines merkwürdigen Mißverständnisses in das Haus
    

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