Reise im Mondlicht
verändert, schließlich ist es ja auch nicht so lange her, daß sie meine
Frau war. Sie trägt ein paar Pariser Kleidungsstücke, ganz schick, aber nicht von der besten Qualität, wie mir scheint. Sie
wirkt ein bißchen gedrückt. In ihrer Stimme ist etwas wie ein leichter Schleier. Das bricht mir das Herz. Mein armer Schatz!
Dieser Schuft von einem |187| Mihály! Das hat sie jetzt davon. Offenbar ist sie noch nicht darüber hinweg … oder hat sie in Paris neuerliche Enttäuschungen erlebt? Der unbekannte Mann … O Gott, o Gott, ich schwafle hier von der Schwägerin des Péter Bodrogi, und inzwischen würde ich am liebsten sterben.
Das hier ist Erzsi.In Lebensgröße.Hier sieht man die Frau, ohne die ich nicht leben kann. Warum, warum wohl? Warum ist sie
für mich die einzige begehrenswerte Frau, obwohl ich sie jetzt zum Beispiel überhaupt nicht begehre? Unter den anderen gab
es doch viel »bessere« Frauen, zum Beispiel die Gizi, von Mária ganz zu schweigen … Die mußte ich bloß ansehen, und mir brannten die Sicherungen durch. Und vor allem gab es die viel Jüngeren. Erzsi ist gar
nicht mehr dermaßen … Warum ist es dann so, daß ich hier und jetzt, und ohne irgendwie aufgeheizt zu sein, die Hälfte meines Vermögens zahlen
würde, damit sie mit mir ins Bett geht?
Erzsi hielt den Blick gesenkt, hörte sich aber lächelnd den Klatsch an und dachte:
Was der alles über alle Leute weiß! Man fühlt sich so zu Hause mit ihm. Mihály weiß über niemanden etwas. Er ist unfähig,
sich zu merken, wer wessen Schwägerin oder Freundin ist. Ich verstehe nicht, warum ich Angst hatte und aufgeregt war. Glaubt
man so sehr ans Klischee des »verlassenen Mannes«? Ich hätte doch wissen müssen, daß Zoltán nie in die Lage kommt, auch nur
ein wenig tragisch zu sein. In seinen Augen ist immer eine Art Lächeln. Alles Getue ist ihm zuwider. Wenn es sein Schicksal
wäre, als Märtyrer zu sterben, würde er auf dem Scheiterhaufen bestimmt noch einen Witz oder ein bißchen Klatsch zum Besten
geben, um der Situation die tragische Spitze zu nehmen. Obwohl er bestimmt viel gelitten hat, er ist grauer geworden. Doch
gleichzeitig hat er sein Leiden auch irgendwie unter den Tisch gewischt. Und sich zwischendurch prächtig gefühlt. Der braucht
kein Mitleid.
»Und was ist mit dir?« fragte Zoltán plötzlich.
»Mit mir? Was soll schon sein? Du weißt ja wahrscheinlich, warum ich nach Paris gekommen bin …«
»Ja, in großen Zügen kenne ich die Geschichte, aber ich weiß |188| nicht, warum alles so gekommen ist. Möchtest du es nicht erzählen?«
»Nein, Zoltán. Sei mir nicht böse. Ich kann mir nicht denken, warum ich dir erzählen sollte, was zwischen mir und Mihály vorgefallen
ist. Ich habe auch Mihály nichts von dir erzählt. Scheint mir selbstverständlich.«
Das hier ist Erzsi, dachte Zoltán. So fein, so unendlich wohlerzogen. Keine Katastrophe wird sie zu einer Indiskretion verleiten.
Die fleischgewordene Disziplin. Und wie sie mich anschaut, mit welcher kalten, verurteilenden Höflichkeit. Noch immer hat
sie die Fähigkeit, mich anzuschauen, daß ich mich fühle wie ein Spezereiladengehilfe. Aber so leicht lasse ich mich nicht
ins Bockshorn jagen.
»Aber vielleicht kannst du doch sagen, wie deine Pläne aussehen«, sagte er.
»Vorläufig habe ich keinerlei Pläne. Ich bleibe hier in Paris.«
»Fühlst du dich hier wohl?«
»Ziemlich.«
»Hast du die Scheidung schon eingereicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Was du alles wissen willst, Zoltán! Ich habe sie noch nicht eingereicht, weil die Zeit dafür noch nicht gekommen ist.«
»Du meinst also, er könnte … verzeih: er könnte noch zu dir zurückkehren?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht. Ich weiß auch nicht, ob ich das möchte. Vielleicht würde ich ihn gar nicht mehr sehen wollen.
Wir passen ja nicht zusammen. Aber … Mihály ist nicht so wie die anderen Menschen. Ich möchte zuerst wissen, was er für Pläne hat. Es könnte ja zum Beispiel
sein, daß er eines Tages aufwacht und erstaunt um sich blickt, weil er mich nicht sieht. Und verzweifelt feststellt, daß er
mich in der Eisenbahn vergessen hat. Und ganz Italien nach mir absucht.«
»Meinst du?«
Erzsi senkte den Kopf.
»Du hast recht. Ich meine es nicht.«
|189| Warum bin ich so ehrlich? Warum gebe ich mich so preis, wie sonst niemandem? Offenbar ist da doch noch etwas zwischen Zoltán
und mir, eine Intimität. Vier
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