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Reise im Mondlicht

Titel: Reise im Mondlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antal Szerb
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von Foligno nur Ervin gestorben war, der seltsame Junge, der
     beste Freund und die schönste Erinnerung an die Jugend.
    »Ich wußte, daß er sehr krank war«, sagte Mihály. »Ich habe auch versucht, ihn zu einer Behandlung zu überreden. Meinst du,
     ich hätte mir mehr Mühe geben sollen? Hätte ich in Gubbio bleiben und nicht weichen sollen, bis etwas zu seiner Pflege geschah?«
    »Ich glaube, unsere Bemühungen und Zärtlichkeit und Besorgnis hätten nicht an Pater Severinus herangereicht. Für ihn war die
     Krankheit nicht das, was sie für andere Menschen ist, kein Schicksalsschlag |223| , sondern vielleicht ein Geschenk.Was wissen wir schon? Vielleicht fiel ihm das Sterben leicht«, sagte Éva.
    »Er war doch in den Belangen des Todes so routiniert«, sagte Mihály,»ich glaube, er hat sich in den letzten Jahren mit nichts
     anderem beschäftigt.«
    »Und doch kann es auch sein, daß das Sterben für ihn schrecklich war. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die ihren eigenen
     Tod sterben wie   … wie Tamás.«
    Der warme, orangegelbe Schein der Lampe fiel auf Évas Gesicht, das jetzt noch mehr das Gesicht war, das Éva im Ulpius-Haus
     getragen hatte, wenn   … wenn sie spielten und Tamás und Mihály durch oder für sie starben.Was für Phantasiebilder, was für Erinnerungen tanzten
     jetzt in ihr? Mihály preßte die Hände auf sein schmerzendes, stark klopfendes Herz, und tausend Dinge gingen ihm durch den
     Kopf: die verdächtigen Wonnen der alten Spiele und die etruskischen Statuen in der Villa Giulia,Waldheims Erläuterungen, die
     Andere Sehnsucht und die Todeshetäre.
    »Éva, du hast Tamás umgebracht«, sagte er.
    Éva zuckte zusammen, ihre Miene veränderte sich völlig, und sie preßte sich die Hände auf die Stirn.
    »Das stimmt nicht! Das stimmt nicht! Wie kommst du darauf?«
    »Éva, du hast Tamás umgebracht.«
    »Nein, Mihály, ich schwör’s. Ich habe ihn nicht umgebracht   … so kann man es nicht sehen. Tamás hat sich selbst umgebracht. Ich habe es Ervin erzählt, und er als Priester hat mir die
     Absolution erteilt.«
    »Erzähl es mir auch.«
    »Gut. Hör zu. Ich will dir erzählen, wie Tamás gestorben ist.«
    Ihre Hand in Mihálys Hand war eiskalt, ihn durchlief ein Schauder, und das Herz wurde ihm entsetzlich schwer. Sie waren unaufhaltsam
     durch Schächte und Gänge und Minen und unterirdische Salzseen hindurch nach unten gesunken, und jetzt würden sie in die Höhle
     gelangen, wo in der Mitte aller Dinge, aller Nächte, das Geheimnis und das Ungeheuer hausten.
    »Du erinnerst dich doch, wie es war. Wie ich einen Freier hatte und wie starrköpfig sich mein Vater benahm und daß ich darum |224| bat, auf ein paar Tage mit Tamás verreisen zu dürfen, bevor ich heiratete.«
    »Ja, ich erinnere mich.«
    »Wir fuhren nach Hallstatt.Tamás hatte den Ort ausgesucht. Als wir da ankamen, verstand ich auch, warum. Ich weiß gar nicht,
     wie ich es dir sagen soll   … eine uralte, schwarze Stadt an einem schwarzen See. Auch in Italien gibt es solche Städte, aber Hallstatt ist noch düsterer,
     noch schauerlicher, ein Ort zum Sterben. Tamás hatte schon unterwegs gesagt, er würde bald sterben. Du erinnerst dich doch,
     das Amt   … und er konnte sich nicht damit abfinden, daß wir beide getrennt werden sollten   … und überhaupt, du weißt ja, wie er sich immer nach dem Tod gesehnt hat, und du weißt auch, daß er nicht zufällig sterben
     wollte, sondern nach sorgfältiger Vorbereitung   …
    Ich weiß, daß jeder andere ihm zugeredet oder nach allen Seiten Telegramme geschickt oder die Freunde, die Polizei, den Rettungsdienst,
     und was weiß ich, um Hilfe gebeten hätte. Auch ich hatte zuerst das Gefühl, ich müsse etwas unternehmen, ich müsse um Hilfe
     rufen. Ich habe es nicht getan, sondern verzweifelt über jeden von Tamás’ Schritten gewacht. Doch dann wurde mir plötzlich
     klar, daß er recht hatte. Woher ich das wußte, vermag ich nicht zu sagen   … jedenfalls weißt du ja, wie nahe wir einander standen, wie sehr ich spürte, was in ihm vorging – und jetzt spürte ich, daß
     man ihm nicht mehr helfen konnte. Wenn es nicht da geschah, würde es dennoch bald geschehen, und wenn ich nicht dabei war,
     würde er allein sterben, und das wäre furchtbar, für uns beide.
    Tamás merkte, daß ich mich mit dem Ganzen abgefunden hatte, und er teilte mir mit, an welchem Tag es geschehen würde. An dem
     Tag fuhren wir noch im Boot auf den toten See hinaus, doch am

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