Reise in die arabische Haut
Schlüssel im Gepäck.
Ich poche gegen die Glasscheibe, aber Mehdi hat sich in Luft aufgelöst. Die restlichen Anverwandten sitzen in der guten Stube vor dem Fernseher. Was für Aussichten? Abends, halb zehn in Tunesien. Zeit um Bilanz zu ziehen. Doch dafür fehlt mir jetzt der Nerv.
Der Hof glänzt verlassen im Sternenlicht. Ich klopfe mit der Faust gegen die Wand bis meine Hämatome schmerzen. Keinerlei Reaktion.
Die geschlossene Verbindungstür, die zu Sofiennes Wohnung führt, sagt alles. Folglich aalt Mehdi sich mit dem Schlüssel im Bett. Und wir finden keinen Fluchtweg, weil Jadda Angst um ihre Kabel hat.
Irgendwann wird jemand merken, dass wir eingeschlossen sind. Solange setze ich mich entspannt auf das Bett und warte auf Rettung.
Jadda prüft die Fernsehtauglichkeit. Ich stelle mich auf Koranpredigten oder eine Couscous-Kochshow ein.
Jadda ist medienmäßig schwer benachteiligt, denn sie muss sich das Programm anschauen, was die Glotze im Wohnzimmer freigibt. Die Verkabelung mit dem Familienfernseher lässt für sie keine freie Programmwahl zu.
Öder, blöder tunesischer Fernsehabend.
Irritiert höre ich deutsche Stimmen aus dem Apparat erschallen.
Frauentausch. Bereits angefangen, dennoch nicht weniger interessant. Jadda drückt wild an den Knöpfen herum, aber der Frauentausch lässt sich nicht verdrängen. In der Doku-Soap dreht es sich um eine affektierte, junge Frau, die ihr Geld mit Poledancing verdient. Sie ist mit einem Nacktputzer verheiratet, der fremde Frauenhaushalte säubert. In der streng katholischen Tauschfamilie wird abends zu Gitarrenklängen gesungen oder in der Bibel gelesen. Die freizügige Tänzerin und die christliche Hausfrau tauschen ihre Familien. Konflikte vorprogrammiert.
Beim Nacktputzer hat RTL II zu viel versprochen. Er putzt nicht nackt, sondern ist mit einem Lendenschurz bekleidet. Warum soll man sich einen unverhüllten Putzmann bestellen, der gar nicht unten ohne abstaubt? Ich beschließe, Khalid zu fragen, ob er für mich ein einziges Mal hüllenlos die Bude reinigt. Nur so kann ich testen, ob sich die Investition in einen Ohne-Lendentuch-Putzer lohnt.
Die Tänzerin poliert ihre blanken Silikonbrüste an der Aluminiumstange. Ihr Höschen zieht sich durch die Porille.
Jadda sitzt relaxed im Plastikstuhl und schaut gebannt in die Röhre.
Katastrophenalarm! Darum lässt sich niemand im Hof blicken. Meine restliche Verwandtschaft genießt im Wohnzimmer das freizügige deutsche Fernsehen, weil sie denken, dass ich längst an der Matratze horche. Endlich erfahre ich, was die Meute abends heimlich treibt. Heuchlerisches Volk.
Diesen Verstoß werde ich Khalid petzen, aber den Gedanken verwerfe ich rasch. Voraussichtlich bekomme ich die Schuld, weil ich vergessen habe, die arabischen Sender wieder einzustellen.
Jadda stößt gurrende Töne aus, als der halbnackte Gigolo seinen Staubwedel schwingt. Verschämt lacht sie in ihr Kissen hinein, das sie sich vor den Mund presst.
Jaddas größter Wunsch ist es, über das große Meer zu fliegen und uns in Deutschland zu besuchen.
»Jadda ist das freie Deutschland nicht gewöhnt. Sie kriegt einen Kulturschock, wenn sie halbnackte Weiber von Werbeplakaten herunterlächeln sieht«, schmetterte Khalid konstant ihre Bitte ab.
Ich habe ihm nie geglaubt und liege somit hinsichtlich meiner Glaubensrichtung in puncto Jadda und Deutschland im durchweg korrekten Bereich.
Jadda verhält sich nur konservativ, wenn Khalid ein Auge auf sie richtet. Männermacht Tunesien.
Ich frage: »Temchi l’almaniya?«
Indes hebe ich meine Arme auf und ab, um ein Flugzeug zu simulieren.
»Naam, Emta?«
»Ich muss zuerst zur Ausländerbehörde und ein Visum für dich beantragen. Das dauert seine Zeit«, entschuldige ich mich.
Jadda hebt ihre Hände gen Himmel und seufzt: »Almaniya, Almaniya.«
»Was ist mit Mekka?«, frage ich indiskret. Soviel ich weiß, spart sie ihr Geld für el-Hadsch.
Sie schüttelt abwehrend den Kopf: »Almaniya.«
Ich fürchte, das deutsche Fernsehprogramm hat sie auf den Geschmack gebracht.
Bis Viertel nach Elf gucken wir die Tauschfrau. Ab und zu presse ich meine Nase an die Glasscheibe und klopfe. Niemand hört mein Flehen. Ich muss dringend austreten. Ich pinkele mir fast in die Hose.
»Toilet«, sage ich gequält zu Jadda.
Diese bietet mir ihr Notklo an, indem sie einen Nachttopf unter dem Bettgestell hervorzieht. Im deutschen Frauenknast stehen die Toiletten auch im Zimmer und in manchen Zuchthäusern der
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