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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wurden mit einer kühlen Höflichkeit empfangen, die sie überraschte; da sie mit den englischen Sitten wenig vertraut waren, begaben sie sich in die Defensive. Die Gesellschaft bestand aus einem Dutzend kräftiger Burschen, die den Eindruck erweckten, nur ihre Schuldigkeit zu tun, wenn sie hier zum Abendessen zusammenkamen. Mit dem von Cooper so oft beschriebenen Ritual stellte Mister Kennedy die zwei Fremden einem seiner Freunde, Sir John Sinclair, vor; man vermeinte, Kapitän Truck aus
Das amerikanische
Postschiff
zu hören:
    »Mister Sinclair, das ist Mister Lavaret, Mister Lavaret, Sir John Sinclair. Mister Sinclair, Mister Savournon! Mister Savournon, Sir John Sinclair.«
    Nach so einer Vorstellung hatte man einander kennengelernt.
    Das Essen war ein Picknick; doch in England verlangt jede Zusammenkunft, daß jemand den Vorsitz und sogar den Unter-Vorsitz führt; also mußte ein Vorsitzender bestimmt werden, und die Wahl fiel auf Sir John Sinclair. Dieser Gentleman verneigte sich reserviert und nahm den Ehrenplatz ein; der stellvertretende Vorsitzende war ein dicker, rotgesichtiger Kerl mit Metzgerschultern, der gegenüber von Sir John Platz nahm. Die Pariser hatten sich nebeneinander gesetzt!
    »So viele Umstände, nur um ein ganz simples Roastbeef zu essen«, sagte Jacques, »und Schinken mit Eiern.«
    »Bis jetzt kommt mir nichts sonderbar vor, doch man schenkt uns keinerlei Beachtung; laß uns essen und beobachten.«
    Das Essen bestand unvermeidlich aus einem Stück Fleisch, das aus den Flanken eines kolossalen Ochsen des Devonshire geschnitten war, und dem köstlichen Schinken von York. Die Tischgenossen verschlangen riesige Portionen, ohne auch nur einen Schluck zu trinken und fast ohne zu atmen; sie aßen mit der linken Hand, spießten sorgfältig arrangierte Scheiben vom Rindfleisch und vom Schinken auf ihre Gabeln und bestrichen alles zusammen mit einer dicken Schicht Senf. Die Servietten fehlten gänzlich, und jeder wischte sich die Lippen am Tischtuch ab; in dem rauchigen Saal herrschte eine nahezu vollkommene Stille, die Kellner im schwarzen Frack servierten geräuschlos und sprachen immer nur flüsternd miteinander.
    Fast das ganze Essen verlief auf diese Weise. Jacques hoffte, daß beim Nachtisch die Liköre diesen reglosen Maschinen ein wenig Heiterkeit entlocken würden, doch ein unvorhergesehenes Ereignis gab dem Festmahl plötzlich eine andere Wendung.
    Der stellvertretende Vorsitzende hatte den Einfall, sich vom Tisch zu erheben, um hinauszugehen; Sir John Sinclair fragte ihn mit schulmeisterlichem Ernst nach dem Grund; der stellvertretende Vorsitzende, Mister Brindsley, gab keine Antwort und steuerte die Türe an.
    »Mister Brindsley«, sagte der Vorsitzende mit gebieterischer Stimme, »Sie können nicht hinausgehen, ohne mich um Erlaubnis zu bitten!«
    »Und warum das?« entgegnete der andere.
    »Weil ich bei dieser Zusammenkunft den Vorsitz habe und jede Bitte dieser Art an mich zu richten ist.«
    »Gott verdamm’mich, sollte ich das tun«, antwortete der stellvertretende Vorsitzende.
    »Sie beharren darauf, trotz meines Verbots hinausgehen zu wollen?«
    »Ich beharre darauf, hinausgehen zu wollen, und ich gehe hinaus.«
    Die Tischgenossen warteten in aller Ruhe auf den Ausgang dieses Wortgefechts.
    »Aufgepaßt«, meinte Jacques, »wir werden in die englischen Sitten eingeführt!«
    Als Mister Brindsley die Türe einen Spalt öffnete, sagte Sir John Sinclair mit ruhiger Stimme zu ihm:
    »Mister Brindsley, wäre es Ihnen recht, den Rock abzulegen?«
    »Außerordentlich recht«, antwortete dieser, »es handelt sich doch wohl um einen Boxkampf?«
    »Wie Sie sehen, ja!« erwiderte der Vorsitzende.
    Sogleich wurde der Tisch beiseite geschoben, und ein ausreichend großer Platz stand für den Kampf zur Verfügung; die mit solchen Zeremonien vertrauten Kellner verschlossen sorgfältig die Türen. Sekundanten machten sich bereit, um den beiden Champions zur Seite zu stehen, die aufeinander zuschritten, eine Faust in Verteidigungs-, die zweite in Angriffsstellung.
    »Ei der Teufel«, murmelte Jonathan, »das sieht bedrohlich aus!«
    »Aber nein, das ist eben ihre Art, das Essen ein wenig aufzulockern!«
    Ein paar heftige Schläge prasselten nieder; jene, die abgewehrt wurden, hallten kurz auf dem Arm wider, die anderen zierten die Gesichter der Kampfhähne bereits mit blauen Flecken. Das Publikum beurteilte die Schläge, und es wurden Wetten über den Ausgang des Streites abgeschlossen;

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