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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ihm höchstens dreihundert Fuß; da ihm ein solcher Anblick höchst unvertraut war, mußte er noch mehr als eine Enttäuschung dieser Art einstecken. Endlich erreichte er, weit vor dem armen, keuchenden Jonathan, den Gipfel von Arthur’s Seat: schwitzend, mit rasendem Puls und völlig außer Atem. Er schloß kurz die Augen, drehte sich zur Stadt um und blickte hinunter.
    Nie zuvor war ein herrlicheres Schauspiel fassungsloseren Augen begegnet. Arthur’s Seat reckte seinen Kopf weit über die umliegenden Hügel hinaus; ihm zu Füßen entrollte sich das Panorama von Edinburgh mit seinen neuen Vierteln und den in geraden Linien verlaufenden Straßen der Neustadt, mit dem wirren Häuserhaufen und dem wunderlichen Straßengeflecht von
Auld Reekie.
Zwei Punkte ragten aus dieser Fläche heraus: das Schloß auf seinem Basaltfelsen und Calton Hill, das auf seiner runden Kuppe die Ruinen eines griechischen Denkmals trägt. Prachtvolle, von Bäumen gesäumte Straßen liefen strahlenförmig auf die Kapitale zu; im Norden schneidet ein Meeresarm, der Firth of Forth, eine tiefe Kerbe in die Küste, und hier liegt der Hafen Leith; weiter oben zieht sich die Küste der Grafschaft Fife harmonisch dahin, und im Osten das unendliche Meer, das von diesen Höhenzügen herab immer ruhig und blau wirkt; ein Weg, so gerade wie die Straße von Piräus, verbindet, nach einem Wort von Charles Nodier, dieses moderne Athen mit der Nordsee. Im Westen zeichnet sich die entfernte Spitze des Ben Lomond ab, und rechter Hand erstrecken sich die Strände von Newhaven und von Portobello mit seinen Badeanstalten. Die Feder ist unfähig, die gewaltige Wirkung dieses Bildes wiederzugeben. Jacques schwieg, er war überwältigt von jener stummen Erregung, die große Naturschauspiele hervorrufen. Jonathan hatte ihn eingeholt und teilte seine sprachlose Bewunderung; sie blieben lange so stehen, während der Seewind sie mit seinen kräftigen Düften umwehte.
    »Laß uns hinabsteigen«, sagte Jacques schließlich, »laß uns schnell hinabsteigen, denn sonst überkommt mich noch das Verlangen, diesem berückenden Schauspiel niemals Lebewohl zu sagen. Komm, Jonathan.«
    Sie hatten den Arthursitz von seiner steilsten Seite her in Angriff genommen, am entgegengesetzten Hang führte ein langsamerer Pfad hinunter; rotwangige und vergnügte junge Mädchen kamen heraufgeklettert, sie lachten und riefen: »Oh meine Beine, meine armen Beine!
My poor legs!«
Jonathan, der stolz darauf war, sie zu verstehen, schenkte ihnen sein freundlichstes Lächeln. Während sie den Berg hinabgestiegen waren, hatte er den Plan gefaßt, in Portobello ein Meerbad zu nehmen, und gefolgt von Jacques, machte er sich auf den Weg durch die Landschaft. Sie brauchten nicht mehr als eine halbe Stunde, um ans Ziel zu gelangen.
    Portobello ist die Ansammlung von ein paar Häusern auf einem recht hübschen Strand. Woher stammt dieser italienische Name inmitten all der harten gälischen Bezeichnungen? Jonathan konnte es sich nur durch die Anwesenheit des Sängers Rizzio und seiner Gefährten an Marias Hof erklären. Hier, auf dem gelben Sand, begegnete man dem Badeleben, wie englische Stiche es bekannt gemacht haben: Zahlreiche Familien verbrachten auf diesem Strand die wärmsten Stunden des Tages; die Kinder spielten, die Dienstmädchen und Hauslehrerinnen überwachten sie, die Mütter und die reizenden jungen Misses entschwanden ins Meer. Die Männer badeten ungefähr zehn Meter von den Frauen entfernt. Ein bewegliches Häuschen beförderte sie über die ersten Wellen hinaus.
    »Ein gutes Beispiel für die englische Prüderie!« sagte Jacques. »In Frankreich gibt es solche Trennungen nicht.«
    »Das ist bedauerlich! Sehr bedauerlich«, antwortete Jonathan, »aber wir müssen uns wohl oder übel den Landessitten fügen!«
    Und jeder betrat sein rollendes Häuschen.
    »Jonathan«, rief Jacques schon nach wenigen Augenblicken, »ersuche den Chef der Anstalt doch bitte um eine Badehose.«
    »Sapperlot, das wird schwierig, ich kenne das Wort dafür nicht.«
    »Dann mußt du dich eben durch Gesten verständlich machen!«
    Jonathan rief nach dem Bademeister, doch was er auch anstellte, es war nichts zu erreichen; und er setzte Jacques von seinem Fehlschlag in Kenntnis.
    »Jetzt sitzen wir schön in der Tinte«, meinte dieser. »Warum hast du es denn nicht geschafft?«
    »Unmöglich, das war ein richtiger Westbretone!«
    »Aber wir können doch nicht …«
    Der Satz erstarb auf seinen Lippen; durch die

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