Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
halb geöffnete Tür seiner Kabine hatte er soeben einen prachtvollen Badegast erblickt, einen reinrassigen Engländer, der voller Anmut aus dem Wasser kam, gemächlichen Schrittes und von Kopf bis Fuß nackt …
»Jonathan, schau nur …«
Jonathan verschlug es die Sprache; andere Badegäste kamen in diesem Moment auf den Strand zurück, ebensowenig bekleidet wie der erste und ohne sich um die Mistresses und Miladies am Ufer zu kümmern!
Die beiden Freunde zögerten nicht länger; sie rannten auf die erstbeste Welle zu und stürzten sich hinein, ohne noch einmal den Kopf zu wenden!
»So steht es also mit der englischen Prüderie«, sagte Jacques und schüttelte sein nasses Haar.
»Wahrscheinlich wäre das Gegenteil
shocking!
«
Die Wassertemperatur kam den Badenden, die noch vor wenigen Tagen in den Meerbusen von Arcachon eingetaucht waren, eher kühl vor; aus diesem Grund entstiegen sie, nach einem verständlichen Zaudern, wie sie denn ihre Häuschen in diesem dürftigen Kleide erreichen sollten, den salzigen Fluten im Krebsgang, auf die Gefahr hin, bei den jungen Damen durch ihre Positur und ihren überstürzten Rückzug für Gelächter zu sorgen.
Einundzwanzigstes Kapitel
England: Eine große Lady auf ihrem Spaziergang
Nach diesem erquickenden Bad gingen sie in das benachbarte Wirtshaus oder vielmehr
Gewölbe,
wo sie sich an einem Glas ausgezeichnetem Ale labten. In diesem Augenblick hielt der Omnibus, der zwischen Portobello und Edinburgh verkehrt; sie stiegen auf die Plattform und fanden schließlich zwei Plätze inmitten der Menge, die das Oberdeck belagerte: Kinder, Greise, Frauen, Hunde – alles war auf dieser schaukelnden Maschine willkommen. Auch im letzten Winkel hockte noch ein Fahrgast, und der Coachman, ein würdevoller und ernster Mann in Frack und schwarzem Hut, hielt sich nur noch durch ein wundersames Gleichgewicht auf seinem Sitz. Endlich erreichten sie die Haltestelle, nachdem sie einen Bogen um Calton Hill gemacht hatten und über die Regent Road am neuen Gefängnis der Stadt vorbeigefahren waren. Dieses ist ein Wirrwarr aus kleinen, angelsächsischen Gebäuden, die sich stufenförmig über einen flachen Hügel hinaufziehen, mit zinnenbestückten Mauern, steinernen Schilderhäuschen, Fenstern, die dicke Eisenstäbe vergittern, und zahllosen Pechnasen; man könnte es für eine mittelalterliche Stadt in Miniatur halten, die auf peinliche Sauberkeit achtet und kräftig mit Bohnerwachs poliert wird.
Der Omnibus blieb vor dem Theater stehen, einem Bauwerk, über das man besser kein Wort verliert, und fast gegenüber dem Staatsarchiv, das eine Kuppel ohne jede Anmut ziert.
Von hier kehrten die beiden Freunde ins Hotel Lambret zurück, um einen Blick auf den Stadtplan von Edinburgh zu werfen. Welche Absicht steckte dahinter? Jonathans Bruder hatte die Nichte eines angesehenen Schotten geheiratet, der mit seiner ganzen Familie in Edinburgh lebte. Wenn Jonathan, dessen Eintreffen im übrigen bereits angekündigt war, ihm seine Aufwartung machte, dann konnte er nur mit größter Zuvorkommenheit empfangen werden; wenn er auf diese Weise in das Zuhause dieser ehrenwerten Familie vordrang, würde er sich noch besser mit den Sitten des Landes vertraut machen. Er unterbreitete Jacques also den Vorschlag, ihn zu begleiten, und dieser stimmte begeistert zu.
Mister B. wohnte ein wenig außerhalb der Stadt, in der Inverleith Row. Um in diese Gegend zu gelangen, mußte man die modernen Viertel von Edinburgh durchqueren, all die neuen Straßen entlang, deren Bezeichnungen wie
place, terrace, road, row
und
street
den Ortsfremden noch zusätzlich verwirren.
Jacques überschüttete Jonathan mit Fragen über Mister B.; da er immer nur seinen Walter Scott im Kopf hatte, fragte er sich, ob er ihn mit Euer Gnaden oder Eure Herrlichkeit anreden mußte, und er rechnete damit, einen Squire aus alten Zeiten in seiner Nationaltracht anzutreffen.
Sie nahmen die Saint-Andrew-Straße und kamen auf den Square, in dessen Mitte ein Standbild Melvilles in die Höhe ragt. Es handelt sich um eine kannelierte Säule, die von einer Statue gekrönt wird und an die Trajanssäule in Rom erinnert; denn man muß schon anmerken, daß fast alle Bauwerke Edinburghs eine Kopie oder ein im allgemeinen mißlungenes Kleinformat eines berühmten Denkmals aus der Antike sind. Auf einer Seite des Platzes stand die Königliche Bank, die man nicht mit der Bank Schottlands verwechseln darf, und auch nicht mit der Bank der Englischen Kompanie,
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