Reise mit Hindernissen nach England und Schottland
damals erhielt Walter Scott dank der Zuvorkommenheit seines alten Freundes Robert Johnstone, Esquire, der in jener Zeit Syndikus der Handwerkergilde war, die Erlaubnis, die Steine und die gewaltigen Türriegel fortzuschaffen, und er verzierte damit den Eingang zum Küchenhof auf seinem Schloß Abbotsford.
Zwanzigstes Kapitel
Eine Stadt voller Gegensätze
»Es würde mich überglücklich machen«, sagte Jacques, während sie die High Street hinuntergingen, »wenn wir eine Taverne finden könnten, auf der ein Schild mit dem Wappen von Wallace, den Drei-Kranichen oder dem Kettenhemd der Southwarcks prangt; das würde ihr ein wenig Lokalkolorit verleihen und wäre unserem Mittagessen bestimmt nicht abträglich.«
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete Jonathan, »aber laß uns vor allem essen, mit oder ohne Wirtshausschild.«
In Edinburgh außerhalb der Hotels etwas zu essen zu finden ist äußerst schwierig; es gibt keine Restaurants wie in Paris, und auf den wenigen Tavernen prangt nicht das kleinste Schild; doch mit viel Geduld fanden die beiden ausgehungerten Touristen schließlich eine Art Coffee House gegenüber von Tron-Church, und hier taten sie sich, zu einem höchst bescheidenen Preis, an kaltem Fleisch und schottischem Ale gütlich. Jonathan hätte gern ein paar frische Eier probiert; doch es gelang ihm nicht, sich verständlich zu machen; der Ausdruck
weichgekocht
fehlte in seinem Wortschatz.
Nach dieser kräftigen Mahlzeit kam Jacques auf seinen morgendlichen Einfall zurück, und Jonathan mußte ihm folgen, um den Berg, den er von seinen Fenstern aus entdeckt hatte, zu erklimmen. Über die High Street, jene bunt bevölkerte Straße, die Walter Scott in seinem Roman
Der Abt
so genau beschrieben hat, machten sie sich auf den Weg zu Schloß Holyrood und ließen die Bridge Street, die mit ihren gigantischen Brücken die drei Höhenzüge der Stadt miteinander verbindet, links und rechts von sich liegen. Im äußersten Süden erblickt man die Universität, die auf dem Standort jenes Hauses erbaut wurde, das Bothwell mit Darnleys Leiche in die Luft sprengte; man kann übrigens keinen Schritt in Edinburgh tun, ohne auf die lebendige Erinnerung an Maria Stuart zu stoßen und ohne den ergreifenden Ruinen des schottischen Romanciers zu begegnen. Die lange Straße nach der High Street trägt den Namen Netherbow und führt am Haus des großen Reformators John Knox vorüber, des einzigen Mannes, den das Lächeln der schottischen Königin nicht bezwingen konnte; deshalb starb er am 24. November 1572 auch friedlich in seinem Bett. Netherbow weicht schließlich der Canongate, jener uralten Straße, in der sich einst die gesamte Stadt vereinigt fand.
Hier liegt der Vorort des Elends im wahrsten Sinne des Wortes, und er führt zum königlichen Schloß: Unbekleidete Kinder, Frauen und junge Mädchen mit nackten Füßen, Bettler unter breitkrempigen Hüten stoßen hier zusammen, kreuzen einander, schleppen sich dahin und schleichen mit ihren hungrigen Gesichtern an den hohen Häusern entlang. Und doch, inmitten dieser siechen Bevölkerung, in dieser verschmutzten Luft, die für ansteckende Krankheiten so förderlich ist, auf diesem durchweichten und schlammigen Straßenpflaster, in den hintersten Winkeln dieser düsteren, feuchten und stinkenden Gassen, die unter dem Namen Closes bekannt sind und zu abscheulichen Schlupflöchern führen, stürzt man über stufenlose Treppen bis zu den beiden aneinandergrenzenden Schluchten hinab und begegnet der schrecklichen Poesie des alten Schottland. Hier stieg Waverley hinunter, als er zum ersten Mal nach Edinburgh kam; hier fertigte ihm der Schneider jene berühmte schottische Tracht an, die von der Witwe Flockhart so sehr bewundert wurde. Hier wahrscheinlich entluden nach dem Sieg des Kronprätendenten die Hochländer ihre Gewehre, und Flora Mac Ivor wurde beinahe von einer überschwenglichen Kugel getroffen. Das Canongate-Viertel läßt sich mit nichts vergleichen; sein Gesicht
sui generis
ist einzigartig auf der Welt, seine Verkaufsbuden und Kramläden, seine an Eisenketten knirschenden Wirtshausschilder, seine breiten Vordächer, seine Gefängnisuhr, die ein trostloses Zifferblatt in die Straßenmitte reckt, die immer noch gedeckten Holztische seiner alten Gasthöfe – alles verleiht ihm eine Eigentümlichkeit, die nur der Pinsel von Delacroix geglückt wiedergeben könnte. In dieser Straße, wie übrigens fast allerorten, scheinen die Frauen den Männern an Zahl weit überlegen
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