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Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Reise mit Hindernissen nach England und Schottland

Titel: Reise mit Hindernissen nach England und Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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die regelmäßig zwischen London und Edinburgh verkehren.«
    »Gut«, antwortete Jacques, »bevor wir Montag früh den Forth hochfahren, werden wir uns über die Abfahrtszeiten der Dampfer nach London informieren; vielleicht können wir auf dem Seeweg zurückkehren.«
    »Das muß erst noch entschieden werden«, warf Jonathan ein, »es wäre besser, wenn wir uns diese Fahrt ersparen könnten. Wir haben ja noch ein wenig Bedenkzeit.«
    Um halb neun war im Haus von Mister B. der Tisch wieder gedeckt, und jeder nahm seinen Platz für den Tee ein. Das Teetrinken ist in England eine Zeremonie von erheblicher Bedeutung, und diese Pflanze, deren Ausfuhrvolumen zwölf Millionen Kilogramm übersteigt, wird in ungeheuren Mengen verbraucht. Das Ziehenlassen des Tees wird von seinen Trinkern mit größter Sorgfalt überwacht, und Miss Amelia übte ihr wichtiges Amt mit reizender Anmut aus. Als der Absud das gewünschte Stadium erreicht hatte, füllte Miss Amelia die Tassen ihrer Gäste damit, fügte ein wenig helle Milch hinzu und krönte alles mit einem Hauch flüssiger Sahne. Nie zuvor hatten Jacques und Jonathan eine wohlschmeckendere und mit größerer Akkuratesse und Liebenswürdigkeit servierte Flüssigkeit getrunken. Eigentümlich geformte Kekse, die Muffins genannt wurden und für diesen Verwendungszweck bestimmt waren, begleiteten diesen unvergleichlichen Tee, und selbst der russische Kaiser trinkt gewiß auch keinen besseren.
    Die Nacht war hereingebrochen; die Tischgesellschaft zog sich wieder in den Salon zurück, und Jonathan dankte mit bezaubernden Melodien für die Zuvorkommenheit dieser wunderbaren Familie; er sang, spielte Klavier, und Jacques unterstützte ihn an der Orgel mit einigen recht gelungenen Bässen. Miss Amelia schien die Musik sehr zu lieben und gab sich jenem bestrickenden Zauber, jenem vollkommenen Gefühl hin, das wahre Künstler in die Interpretation ihrer eigenen Werke legen. Sie sang Jonathan mehrere schlichte Lieder aus dem Hochland vor, und dieser gab sie auf dem Klavier wieder, indem er sie mit einer einfachen und zugleich farbigen Begleitung versah.
    »Übrigens«, sagte er zu Miss Amelia, »stecken diese leicht monotonen Melodien voller Charakter und Farbe; aber sie beruhen auf einer Reihe von Intervallen, die fast immer dieselben sind; deshalb gibt es ein ganz einfaches Mittel, um schottische Lieder auf dem Klavier zu interpretieren, nämlich indem man nur auf den schwarzen Tasten spielt. Der Zufall wollte es so, daß die Bauweise dieses Instruments zu diesem seltsamen Ergebnis geführt hat.«
    Und indem er das Beispiel auf die Regel folgen ließ, interpretierte er bezaubernde Melodien nach diesem Verfahren. Miss Amelia war begeistert. Nach diesen sanften Kompositionen erschallte das Klavier unter den vier Händen der Pariser, und die bacchantischen Tänze des Orpheus versetzten die schüchternen Echos der Villa in Angst und Schrecken. Dann verstummte das Klavier, um den ganzen Sonntag über zu ruhen und ihn durch sein religiöses Schweigen zu heiligen. Die beiden Freunde verabschiedeten sich von ihren liebenswerten Gastgebern und verabredeten sich mit Mister B. für den nächsten Tag um ein Uhr, neben der Pitt-Statue in der George Street.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Jacques und Jonathan besichtigen Edinburgh
    Man muss schon zugeben, Jacques und Jonathan fühlten sich am Ende ihrer Kräfte, und ihr Geist hatte Mühe, die tausend Eindrücke dieses wichtigen Tages zu verarbeiten. Mit schleppenden Schritten gingen sie durch die breiten, menschenleeren und kaum beleuchteten Straßen ins Hotel Lambret zurück; nach solchen Strapazen läßt der Schlaf zum Glück nicht lange auf sich warten.
    Am nächsten Morgen sprangen sie aus dem Bett, kleideten sich rasch an und nahmen ihren Weg durch die Sehenswürdigkeiten der Stadt wieder auf. Zunächst gingen sie in die Gegend von Calton Hill, dessen sonderbare Denkmäler ihnen vom Gipfel des Arthursitzes ins Auge gesprungen waren.
    An diesem Sonntag in Schottland waren die Straßen trostloser und verlassener denn je, die Geschäfte ausnahmslos und puritanisch geschlossen; kaum daß ein paar Passanten es wagten, dieses einsame Pflaster gottvergessen zu betreten. Jedes Denken, jedes Handeln schien unter der feierlichen Langeweile des Protestantismus begraben zu liegen, dieses trockenen und hartnäckigen Windes, dessen Hauch Geist und Herz zum Verdorren bringt. Das ließ in ihren Köpfen ein trauriges Bild von den Sonntagen in Edinburgh entstehen.
    Calton

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